Gerron - Lewinsky, C: Gerron
gekannt, der aus dem Keller der Kommandantur zurückgekommen ist. Die andern hat man in die Kleine Festung gebracht, und sie sind verschwunden. Manchmal gab es eine Proklamation. Wegen Sabotage hingerichtet. Sabotage kann alles sein. Auch ein unziemliches Gelächter?
Der Mann, den sie ins Lager zurückgeschickt haben, hieß Prokop. Ein Pianist. Sie haben ihm die Finger gebrochen, einen nach dem andern. In einer Tür festgehalten und die dann zugeschlagen. Zehnmal. Ihn umzubringen wäre nicht Strafe genug gewesen. Wofür auch immer.
Ich habe nicht gebetet, weil ich das nicht kann. Habe versucht, an Olga zu denken. Aber Angst macht egoistisch. Mein Kopf überlegte die ganze Zeit nur, was sie mir wohl antun würden.
Phantasie ist Scheiße.
Manchmal konnte man Schritte hören. Rasselnde Schlüssel. Befehle. Noch kamen sie nicht zu mir.
Rahms Film muss ich also nicht drehen, dachte ich. Merkte erschrocken, dass ich es mit Enttäuschung dachte. Dass ich mich ganz insgeheim auf die Arbeit gefreut hatte. Weil es meine Arbeit war.
Meine Arbeit gewesen wäre.
Und dann – nach Minuten? nach Stunden? – Schritte, die stehenblieben. Ein Riegel, der zurückgeschoben wurde. Das erste Schloss. Das zweite. Die Türe.
Ich kann nicht lang in der Zelle gewesen sein. Das Licht blendete mich nicht.
Vor mir eine blaue Uniform. Kein SS-Mann. Ein Četnik. Der auf Tschechisch etwas sagte, von dem ich nur ein einziges Wort verstand. «Prosím», sagte er. «Bitte.» Man bittet nicht, wenn man den Auftrag hat, jemanden umzubringen.
Er trat zur Seite. Mit einer einladenden Geste. Nicht, als ob er mich bewachen, sondern als ob er mir den Vortritt lassen wollte. Höflich.
Ein Mann um die vierzig. Das umgehängte Gewehr hatte nichts Bedrohliches.
Aus den Augenwinkeln sah ich den SS-Lehrling dastehen. Einen Bund Schlüssel in der Hand.
Die Treppe hinauf. Zur Eingangstür. Auf die Straße. Die Sonne schien jetzt. Der Gendarm zeigte mir gestisch die Richtung. Die L 3 entlang. An der Geniekaserne vorbei, wo Olga sich Sorgen um mich machte. Geradeaus bis zur Q 9. Nach links. Am Leitmeritzer Tor zeigte er Papiere vor. Die Wachen schauten verwundert, aber sie ließen uns durch. Auf die Landstraße. In die freie Natur.
Es wäre wichtig, dass der Regisseur die Möglichkeit bekommt, außerhalb der Mauern attraktive Drehorte zu rekognoszieren.
Bei den tschechischen Gendarmen weiß man nie, was einen erwartet. Nicht wie bei der SS, wo man sich jederzeit auf das Schlimmste verlassen kann. Manche wollen deutscher sein als die Deutschen. Machen auf Herrenmensch. Bestehen pingelig auf den sinnlosesten Vorschriften. Obwohl sie wissen, dass jede Anzeige, die sie erstatten, für den Betroffenen Transport bedeuten kann. Weil sie das wissen.
Aber die meisten Č e tniks sind friedliche Leute. Wollen ihren Posten nicht verlieren, weil er sie vom Kriegsdienst befreit, sind aber den Häftlingen gegenüber ganz freundlich gestimmt. Es soll sogar welche geben, die Briefe hinausschmuggeln.
Ich wusste noch nicht, zu welcher Sorte mein Bewacher gehörte.
Er blieb im vorschriftsmäßigen Abstand hinter mir, zügig marschierend. Das Gewehr nicht geschultert, sondern schussbereit in den Händen. Wie wir es in Jüterbog für den Wachtdienst gelernt haben. Einmal, als ich mich zu langsam bewegte, stieß er mich mit dem Kolben vorwärts.
Also doch ein SS-Imitator? Er hatte «Prosím» gesagt. Was keinem von den Sturköpfen in den Sinn gekommen wäre.
Sobald wir nicht mehr in Sichtweite der Festung waren, änderte sich sein Verhalten. Er blieb stehen und wischte sich mit einem großen grünen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Erinnerte mich an Herrn Tigges aus Grevenbroich. Lächelte mich an, nickteund tippte sich mit dem Zeigefinger an die Brust. «Jiři», sagte er. Und ich sagte: «Kurt».
Wir konnten uns nicht unterhalten. Er sprach, was man hier selten antrifft, kein Wort Deutsch. «Oder er mag die Deutschen nicht», meinte Olga später, «und hat deshalb beschlossen, ihre Sprache nicht zu verstehen.» Ich glaube das nicht. Er wird weit weg von Prag aufgewachsen sein, in einem Dorf, wo sich die Kulturen nicht mischen. Er war kein Städter. Hatte etwas Ländliches an sich. Nicht direkt ein Bauer, schien mir, eher ein dörflicher Handwerker, ein Schreiner oder Werkzeugmacher. Aber vielleicht täusche ich mich da auch. Mit meiner Menschenkenntnis, auf die ich einmal so stolz war, ist es nicht weit her.
Egal. Ein anständiger Mensch.
Jiři.
Er
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