Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
ich will mich nicht weiter auf Datierungen und Zuschreibungen einlassen, dieses heikle Geschäft übersteigt meine Kenntnisse und Kräfte, lediglich bei zwei der 200 Graffiti kann ich verbindlich Auskunft geben, sie sind nämlich von mir.
Nicht, daß ich selber gesprayt hätte. Es handelt sich vielmehr um einen Zwei- und einen Vierzeiler, die, in Büchern wie Die Wahrheit über Arnold Hau und Besternte Ernte gedruckt, nun ihren Weg gemacht haben, die durch Köpfe, Hände und Sprühdosen gegangen sind, um schließlich auf Frankfurter Uni-Wänden eine neue Heimstatt zu finden.
Mein erstes Gefühl: Stolz. War es nicht seit jeher der geheimste Wunsch der Künstler, eins zu werden mit dem Volk, dienendes Sprachrohr zu sein der Träume, Begierden und Forderungen ihrer Zeitgenossen? War es, war es. Mein zweites Gefühl: Ärger. Denn was hat das Volk aus meinen schönen Versen gemacht? Es hat sie zersprayt, so, wie das Volkslied vergangener Epochen die Reime der Hochkunst zersang. Nicht zum Vorteil der Reime: ›Der Geier fraß die Wanderratte, nachdem er sie geschändet hatte‹, lese ich da. Ich aber hatte geschrieben: ›Der Habicht fraß… etc.‹ – die runde Fülle der Zeile wurde nicht zuletzt durch die vier As konstituiert, nun wird sie durch den ganz lautfremden Geier ganz unnötig geschändet.
Ein weiterer Wandspruch, den bereits der ›stern‹ einem anonymen Autor zugesprochen und zum ›Gedicht der Woche‹ erklärt hatte:
›Es sprach der Herr zum Knecht:
Mir geht es schlecht.
Da sprach der Knecht zum Herrn:
Das hört man gern.‹
Nicht so gut, wie? Rumpelt und pumpelt ein bißchen, von dem dreihebigen Vers in den zweihebigen, und das gleich zweimal hintereinander. Wie elegant und lesbar sich daneben das Original ausnimmt:
›Der Herr rief: Lieber Knecht,
Mir ist entsetzlich schlecht!
Da sprach der Knecht zum Herrn:
Das hört man aber gern.‹
Klingt schon anders – oder? Welch unterkühlte Raffinesse in den pseudoarchaischen Alliterationen! Wie geradezu erschreckend das umgangssprachliche ›Das hört man aber gern‹ in dieses scheinbar zeitlose Sprechen einbricht! Von anderen Feinheiten ganz zu schweigen – schon deshalb, weil mir im Moment keine weiteren einfallen.«
Gedichte aus Besternte Ernte – Im Jahre 1976 brachte Zweitausendeins den Gedichtband Besternte Ernte als Originalausgabe heraus. Vorausgegangen war eine lange Manuskript-Odyssee durch die deutsche Verlagslandschaft, nachzulesen in meinem Lehrbuch Wege zum Ruhm, Haffmans Verlag 1995, jetzt Fischer Taschenbuch Verlag.
Im Vorwort der Erstausgabe von Besternte Ernte heißt es:
»Die folgenden Verse und Zeichnungen, Früchte gemeinsamen Dichtens und Zeichnens, entstanden während der letzten fünfzehn Jahre. Teils sind sie bisher unveröffentlicht, teils erschienen sie in der Beilage ›Welt im Spiegel‹, die wir, zusammen mit F. K. Waechter, 1964 ins Leben riefen und bis zum Januar 1976 allmonatlich gestalteten und betreuten.
Gemeinsames Dichten – das hat so weit geführt, daß sich der Irrglaube verbreiten konnte, F. W. Bernstein sei ein Pseudonym für Robert Gernhardt, oder umgekehrt, oder wir beide seien ein Dritter. Nichts davon stimmt. Um späteren Zeiten die Arbeit zu erleichtern, haben wir die Gedichte daher, so gut es ging, nach Verfassern geordnet.
So gut es ging – denn in einigen Fällen hat ein und dasselbe Gedicht uns beide zum Verfasser, und bei den Rotbart-Liedern gesellt sich ein leibhaftiger Dritter, eben F. K. Waechter, hinzu. Daß jedoch auch die anderen einverfassrigen Gedichte den gleichen Geist atmen, unabhängig vom jeweiligen Autor, erklärt sich aus zwei Umständen; erstens dichten wir meistens zusammen, abends, wenn die Geräusche der Straße leiser und die Stimmen der Wirte lauter werden, und zweitens hat uns dasselbe Vorbild geprägt, ein Gedicht, das, in Schönschrift auf ein großes Schild gemalt, Anfang der sechziger Jahre Rummelplatzbesucher zum Schiffsschaukeln verleiten sollte:
Wie ein Pfeil fliegt
man daher,
als ob man selber
einer wär.«
Die Gedichte nach Verfassern zu sortieren, ist jedoch nur die eine Hälfte des Problems, dem sich gegenübersieht, wer einen Sammelband wie den vorliegenden zusammenstellt. Die andere besteht in der Notwendigkeit, den Schreiber-Dichter vom Zeichner-Dichter zu scheiden: Auf viele meiner Besternte-Ernte- Gedichte mußte ich deshalb verzichten, weil sie nur im Zusammenhang mit Zeichnung oder Foto funktionieren. In vier Fällen schien
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