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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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exakt die Wege abgeschritten ist, die heute in diesen Regionen als Goethewege markiert sind, ist ungewiss. Beim Goetheweg zwischen Weimar und Großkochberg ist das etwas anderes. Diesen Weg ist er zwischen 1775 und 1788 Dutzende Male gegangen.
    Es trieb ihn nämlich die Liebe. Im Schloss von Großkochberg wartete seine Angebetete Charlotte von Stein aufs Schäferstündchen, und so ein Ziel macht Beine. Goethe schrieb am 12. Juli 1777:
    »... ich habe mich gestern herausgeflüchtet, bin um halb sechs zu Fuß von Weimar abmarschiert und war halb zehn schon hier, da alles schon verschlossen war und sich zum Bettgehen bereitete.«
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    Goethe – spitz wie Nachbars Lumpi
    So, so, der feine Herr Geheimrat Johann Wolfgang hat also für die 28 Kilometer lange Strecke von Weimar nach Großkochberg lediglich vier Stunden benötigt. Das entspräche einer schier unfassbaren WDG von 7 km/h. Hat ihn die hereinbrechende Dunkelheit vorangetrieben? Ist er zwischendurch gejoggt? Hat er geflunkert? Oder war er einfach spitz wie Nachbars Lumpi und ist so richtig volles Rohr zu Charlotte gerast? Übrigens betrug die PKDG (Postkutschendurchgeschnittsgeschwindigkeit) in Goethes Zeit 5,5 km/h. Das entspricht ziemlich exakt meinem sportlichsten Wanderschnitt. Ich wandere also normalerweise im Postkutschen-Tempo.
     
    Victor und ich wollten den Goetheweg-Praxistest durchführen. Am Wielandplatz in Weimar, dem Startpunkt des Goethewegs, kauften wir im REWE an der Ecke noch Proviant und Toilettenartikel ein. Man sollte nie eine längere Wanderung ohne eine Packung Taschentücher |105| starten. Es kann immer sein, dass man es mitten im Wald nicht mehr zur nächsten Toilette schafft. Wenn dann kein Papiertaschentuch zur Hand ist, kann es finster werden. Im REWE gab es Taschentuchhaushaltspackungen und eine Einzelrolle Klopapier. Es entbrannte ein Streit zwischen Victor und mir, ob im Wald im Ernstfall eine Packung Taschentücher oder eine Rolle Klopapier vorzuziehen sei. Victor beharrte auf Klopapier. Meinetwegen!
    Dann ging es aber endlich los und nach 300 Metern hatten wir uns verlaufen. An der ersten relevanten Straßenkreuzung gab es keine Markierung. Das weiße G auf grünem Grund hätte eigentlich irgendwo kleben müssen.
    Victor machte den Fehler und fragte eine Passantin nach dem Weg. Die Antwort war klar: »Frachen Se mich nich, isch bin swar von hier, aber isch weiß es nich.«
    Einheimische wissen nie, wo durch ihr Dorf, ihre Stadt oder ihren Wald der überregionale Weg führt. Diese Erfahrung hatte ich schon beim Hermannsweg und auch bei so manchen Wegen in der Eifel gemacht.
     
    Wir gingen weiter nach Karte und fanden durch das noble Villenviertel von Weimar zurück zum Goetheweg. Es ging noch einige Zeit durch Weimarer Vorstadtstraßen, bis wir eine halbe Stunde nach unserem Start einen Feldweg zwischen Wiesen und Rapsfeldern erreichten. Von hier aus hatten wir einen weiten Blick auf Weimar. Die Stadt liegt in einem flachen Talkessel und auf der gegenüberliegenden Seite konnten wir das Mahnmal des KZ Buchenwald erkennen. Neben mir hörte ich ein monotones Klackern. Ich hatte es erst nicht glauben wollen, aber Victor hatte im Hotel tatsächlich Wanderstöcke  |106| hervorgezogen. Er kannte meine Verachtung für diese Wanderhilfen, versuchte mich aber eines Besseren zu belehren. Er schwärmte in einem fort von der Entlastung für seine Beine und überredete mich, es doch auch einmal zu probieren. Und ich probierte es, scheiterte aber kläglich. Man muss den Stock immer versetzt zum Fuß auf den Boden setzen. Linker Fuß vor, rechter Stock vor, rechter Fuß vor, linker Stock vor. Außerdem ist zu beachten, dass die Stockspitze kurz vor der Schuhspitze den Boden berührt, damit der Auftritt optimal abgefedert wird. Mir war das alles zu kompliziert. Ich entschied definitiv, dass ich beide Arme frei von solchem Wanderschnickschnack haben möchte.
    Victor mit Wanderstöcken im Thüringer Hochgebirge
    Eine Viertelstunde später passierten wir Vollersroda, einen kleinen Ort zwischen der A4 und Weimar. In der Gegend um Weimar wimmelt es von Orten mit dem Suffix -roda: Kiliansroda, Mechelroda, Vollersroda, Münchenroda, Neckeroda. In und um diese Orte wurde früher ziemlich viel Holz gerodet, daher das -roda |107| hintendran. Und tatsächlich, bis heute wächst um Vollersroda herum kein Baum. Dafür dröhnte mächtig die nahe A4.
    Nach Vollersroda bogen wir von der Kreisstraße auf einen sehr schönen Feldweg ab. Es gibt eine ziemlich

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