Gesammelte Wanderabenteuer
das Tier sich uns bis auf zehn Meter genähert hatte, standen wir Aug in Aug mit einem Feldhasen. Ein ganz schön großer Feldhase mit riesigen Läufen (Beinen) und gigantischen Löffeln (Ohren). Er hoppelte verträumt den Weg bergan und war anscheinend in Hasengedanken versunken. Erst drei Meter vor uns blieb er stehen, dachte wieder kurz nach und raste zehn Sekunden später in einem Affenzahn (ein Hasenzahn ist ja etwas anderes) den Weg zurück. Dieser alte Hasenfuß!
Eine kleine Brücke führte über die Agger, und wir folgten dem Weg zum nächsten Bergrücken. Wir durchwanderten Honrath und kreuzten die Oberbergische Bahn von Köln nach Gummersbach am dortigen Bahnhof. Von hier aus hätte man ebenfalls starten können, dann sind es bis Köln noch 17 Kilometer. Bis Durbusch ging es bergan, aber danach trennten uns nur noch das Tal der Sülz und der Königsforst von der Kölner Bucht. Wir konnten bis zu den rauchenden Chemiefabriken von Wesseling zwischen Köln und Bonn sehen, aber der Blick auf Köln war uns durch Bäume und eine kleine Erhebung verwehrt.
Hinter Bleifeld machten wir zum ersten Mal Rast. Erst im Sitzen bemerkten wir, wie kalt es eigentlich war. Meine |271| Rucksackverpflegung bestand aus einer Portion Knoblauchspaghetti in Öl. Leider war durch die Kälte das Öl fast gefroren. Dieser Fettklumpen hatte sich als Bodensatz in der Plastikschale abgelagert, aus der ich aß. Sehr appetitlich war das nicht.
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Es geht nichts über eine gepflegte Wanderpause mit Rucksackverpflegung.
|271| Da meine Mutter ein eher rastloser Typ ist, gingen wir bereits nach zehn Minuten weiter. So erreichten wir zügig den Lüderich. Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatte meine Mutter hierher Schulausflüge gemacht. Dabei ist der Lüderich nur eine kleine Erhebung mit vielen Bäumen. Eigentlich hat dieser Berg nichts Ausflugsmäßiges oder halbwegs Spektakuläres. Es müssen bescheidene Zeiten gewesen sein. Und den in der Karte verzeichneten Rundumausblick fanden wir auch nicht.
Symbole auf Wanderkarten und ihre Bedeutung
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Wieder kein Blick nach Köln. Kein Blick zum Dom. Was dazu wohl die UNESCO sagt? Schließlich hatte sie zunächst den Kölner Dom zum Weltkulturerbe erklärt und dann mit dem Entzug dieses Ehrentitels gedroht, sollte ein Hochhausprojekt auf der anderen Rheinseite realisiert werden, das den freien Blick auf den Dom nicht mehr ermöglicht hätte. Und nun kein Blick vom Lüderich! Mussten jetzt alle Wälder auf diesem Berg gerodet werden? Meiner Meinung |273| nach könnte hier ein Touristenziel erster Güte entstehen, wenn man es nur richtig anpacken würde. Asphaltierte Anfahrtsstraßen, einen Aussichtsturm mit Restaurant, einen Andenkenladen und ein Spaßbad sah ich vor meinem geistigen Auge entstehen. Dazu ein griffiger Name wie »Domblick«. Oder am besten benannte man den Lüderich gleich komplett um. So toll war »Lüderich« als Bergname ja nun nicht. Der Freiburger Hausberg heißt zum Beispiel Schauinsland, da bietet sich für den Lüderich doch »Guckdendom« oder »Schaunachköln« an. In seiner derzeitigen Verfassung ist der Lüderich eher ein Berg von trauriger Gestalt.
|273| Vom Lüderich hinunter ins Sülztal ist es ein Kilometer, und die Ortsdurchquerung von Hoffnungsthal zog sich etwas. Dann wanderten wir hinein in den Königsforst. Und spätestens ab Forsbach war der Kurkölner Weg für mich ein Heimspiel. Ich konnte die heimatliche Stadt förmlich riechen: Ich jing zo Foß noh Kölle. In meiner Kindheit war ich hier fast jedes Wochenende gewandert. Dabei muss ich ein etwas verhaltensgestörtes Kind gewesen sein. Ich warf mich nicht schreiend auf den Boden, wenn ein Spaziergang oder eine Wanderung angekündigt wurde. Nein, ich bin als Kind gerne gewandert! Wenn es mir langweilig wurde, habe ich mir einen alternativen Weg parallel zum Hauptweg gesucht, auf dem man durchs Unterholz stapfen konnte. Oder ich habe mir neue Abenteuer mit meinem besten Freund Lurchi ausgedacht. Lurchi, der Salamander-Held des gleichnamigen Schuhgeschäfts, war mein imaginierter bester Freund, der mit mir durch dick und dünn ging. Wie gesagt, ich war etwas sonderlich.
Kurz nach 16 Uhr kamen wir an unserem Ziel, der Straßenbahnendhaltestelle der Linie 9, an. Ich hatte an diesem Tag |274| einiges erfahren, über das Bergische Land, meine Mutter und mich selbst. Aber auch, dass die Gegend um Bleifeld ein Bergbaugebiet war oder dass im Aggertal das Standesamt neben einem
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