Gesammelte Werke 1
der Funkzentrale auf, und ich konnte direkt mit ihr sprechen. Sie hatte ein rundes, glänzendes und sonnengebräuntes Gesicht, einen dunkelroten Schimmer auf den Wangen, kokette Grübchen, strahlend blaue Augen und einen üppigen, silbern glänzenden Haarschopf. Sie sprach mit tiefer, samtiger Stimme und hatte einen nicht näher bestimmbaren,
aber sehr sympathischen Sprachfehler. Während sie redete, kam mir in den Sinn, dass sie vor nicht allzu langer Zeit sicher noch jedem Mann den Kopf verdreht hatte.
Ich bat um Verzeihung, stellte mich kurz vor und erzählte ihr meine Legende. Während sie sich zu erinnern versuchte, zog sie ihre dichten, seidigen Augenbrauen zusammen und blinzelte.
»Lew Abalkin? … Ljowa Abalkin … Verzeihung, wie heißen Sie?«
»Maxim Kammerer.«
»Verzeihung, Maxim, ich habe Sie nicht ganz verstanden. Vertreten Sie sich selbst oder eine Organisation?«
»Wie soll ich das am besten erklären … Ich habe mit einem Verlag gesprochen, er war interessiert.«
»Aber sind Sie selbst nur Journalist oder doch irgendwo beschäftigt? Das ist schließlich kein Beruf - Journalist …«
Ich stimmte ihr kichernd zu und überlegte dabei fieberhaft, was ich antworten sollte.
»Sehen Sie, Jadwiga Michailowna, das ist schwer in Worte zu fassen. Von Beruf bin ich … na ja, vielleicht Progressor, obwohl ja es diesen Beruf, als ich mit der Arbeit anfing, noch gar nicht gab. Bis vor kurzem war ich Mitarbeiter der KomKon, und in gewissem Sinne stehe ich auch jetzt noch mit ihr in Verbindung.«
»Sie haben sich selbstständig gemacht?« Jadwiga Michailowna lächelte nach wie vor, aber jetzt fehlte etwas in ihrem Lächeln - etwas sehr Wichtiges … Natürliches …
»Wissen Sie, Maxim«, sagte sie, »ich werde mich gern mit Ihnen über Lew Abalkin unterhalten, aber wenn es Ihnen recht ist, etwas später. Sagen wir, ich rufe Sie an, in einer Stunde oder anderthalb.«
Sie lächelte noch immer, und plötzlich wurde mir klar, was es war, das in ihrem Lächeln fehlte: Wohlwollen, das ganz natürliche Wohlwollen.
»Gewiss doch«, sagte ich. »Wann es für Sie am besten passt.«
»Entschuldigen Sie bitte.«
»Nicht doch, ich muss mich entschuldigen.«
Sie notierte sich die Nummer meines Kanals, und wir verabschiedeten uns. Seltsam, dieses Gespräch. Als hätte sie von irgendwoher erfahren, dass ich log. Ich kratzte mich am Ohr … meine Ohren glühten! Verfluchter Beruf … »Und es begann die spannendste aller Jagden - die Jagd auf den Menschen …« O tempora, o mores! Wie oft sie sich doch geirrt haben, die Klassiker! Gut, warten wir. Es wird sich, denke ich, nicht vermeiden lassen, nach Manáus zu fliegen. Ich fragte die Nachrichten ab. Die Null-Verbindung war immer noch instabil; deshalb bestellte ich einen Stratoplan. Dann schlug ich die Mappe auf und begann Lew Abalkins Bericht über die Operation »Tote Welt« zu lesen.
Ich schaffte fünf Seiten, dann klopfte es an der Tür, und über die Schwelle trat Seine Exzellenz. Ich stand auf.
Selten sieht man Seine Exzellenz anderswo als hinter seinem Schreibtisch. Daher vergisst man ständig, wie riesig und dürr er ist. Der makellos weiße Leinenanzug hing an ihm herunter wie von einem Kleiderbügel. Und überhaupt hatte er etwas von einem Stelzenläufer im Zirkus an sich, wobei seine Bewegungen jedoch geschmeidig waren.
»Nimm Platz«, sagte er, knickte in der Mitte ein und setzte sich in den Sessel, der vor mir stand.
Schnell setzte auch ich mich.
»Berichte«, befahl er.
Ich gehorchte seinem Befehl und berichtete.
»Ist das alles?«, fragte er mit einem unangenehmem Ausdruck.
»Bis jetzt, ja.«
»Das ist schlecht«, sagte er.
»Ja, Exzellenz, es ist schlecht«, sagte ich.
»Schlecht! Der Ausbilder ist tot. Und die Schulfreunde? Wie ich sehe, hast du sie nicht mal in Betracht gezogen! Und seine Freunde in der Progressoren-Schule?«
»Leider hatte er keine Freunde, Exzellenz. Jedenfalls nicht im Internat, und was die Progressoren-Schule angeht …«
»Erspare mir deine Überlegungen. Überprüfe einfach alles. Und lass dich nicht ablenken. Was zum Beispiel hat diese Kinderärztin mit der Sache zu tun?«
»Ich bemühe mich, alles zu überprüfen«, sagte ich und wurde allmählich ärgerlich.
»Du hast keine Zeit, im Stratoplan herumzufliegen. Befass dich lieber mit den Archiven statt mit Flugreisen.«
»Mit den Archiven befasse ich mich auch noch. Ich gedenke mich sogar mit diesem Kopfler zu befassen, Wepl. Aber ich hatte eine bestimmte
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