Gesammelte Werke 1
und wiederholte die Anfrage. Diesmal erschien die Antwort mit ein paar Sekunden Verzögerung: »Information nur für Spezialisten, weisen Sie bitte Ihre Zulassung vor.« Ich lehnte mich im Sessel zurück. Unglaublich! Zum ersten Mal in meiner beruflichen Laufbahn erwies sich die Zulassung der KomKon 2 als unzureichend, um eine Information vom GGI zu bekommen.
Und in dem Moment wurde mir klar, dass ich die Grenzen meiner Kompetenz überschritten hatte. Plötzlich verstand ich, dass vor mir ein großes, düsteres Geheimnis lag und dass das Schicksal Abalkins mit all seinen Rätseln und Ungereimtheiten nicht nur auf ein persönliches Geheimnis Abalkins hinauslief, sondern dass es mit den Schicksalen vieler anderer Menschen verflochten war. Und ich wagte nicht, an diese Schicksale zu rühren, weder als Mitarbeiter der KomKon noch als Mensch.
Es hatte nichts damit zu tun, dass mir das GGI Informationen über das Experiment »Spiegel« verweigerte. Ich war überzeugt, dass das Experiment mit dem Geheimnis nicht das Geringste zu tun hatte. Die Weigerung des GGI war einfach wie eine Ohrfeige - eine Ohrfeige in eine bestimmte Richtung, die mich zwang zurückzuschauen. Und sie klärte in gewisser Weise meinen Blick. Auf einmal sah ich alles im Zusammenhang: das seltsame Verhalten Jadwiga Lekanowas, die
ungewöhnliche Geheimhaltungsstufe, das ungewohnte »Behältnis für Dokumente«, die sonderbare Chiffre, die Weigerung Seiner Exzellenz, mich vollständig in den Fall einzuweihen, und sogar seine anfängliche Anweisung, keinerlei Kontakt mit Abalkin aufzunehmen … Und jetzt noch diese unglaubliche Übereinstimmung von Daten und Umständen, unter denen Lew Abalkin und Kornej Jašmaa zur Welt gekommen waren.
Es gab ein Geheimnis, und Lew Abalkin war nur ein Teil davon. Ich verstand jetzt, warum Seine Exzellenz diesen Fall gerade mir übertragen hatte. Es gab zwar gewiss Leute, die in dieses Geheimnis eingeweiht waren, doch eigneten sie sich anscheinend nicht für die Fahndung. Und es gab genügend Leute, die für die Fahndung genauso geeignet waren wie ich, vielleicht sogar besser, aber Seine Exzellenz wusste, dass die Fahndung früher oder später zu dem Geheimnis führen würde. Und da war es wichtig, einen Menschen auszusuchen, der genug Feingefühl besaß, um rechtzeitig haltzumachen. Für den Fall, dass das Geheimnis im Laufe der Fahndung gelüftet werden sollte, war es wichtig, dass Seine Exzellenz diesem Menschen vertraute wie sich selbst.
Darüber hinaus war das Geheimnis Lew Abalkins auch noch ein Persönlichkeitsgeheimnis! Sehr schlecht. Das dunkelste Geheimnis, das sich nur denken ließ - nicht einmal die Person selbst durfte etwas davon ahnen. Das einfachste Beispiel: die Information über eine unheilbare Krankheit der Person. Ein kompliziertes Beispiel: das Geheimnis um eine aus Unwissenheit begangene Tat, die nicht wiedergutzumachende Folgen hatte, siehe König Ödipus …
Nun denn, Seine Exzellenz hatte richtig gewählt. Ich mag keine Geheimnisse. Ich finde, dass in der heutigen Zeit und auf unserem Planeten alle Geheimnisse etwas Schmutziges haben. Ich gebe zu, dass viele durchaus aufsehenerregend sind und unsere Phantasie anfachen können, aber mir persönlich
ist es unangenehm, in Geheimnisse eingeweiht zu werden. Und noch unangenehmer ist mir, Außenstehende, die nichts damit zu tun haben und nichts dafür können, in Geheimnisse einzuweihen. In der KomKon 2 steht die Mehrheit der Mitarbeiter auf demselben Standpunkt, und das ist sicherlich auch der Grund, weshalb bei uns nur sehr selten etwas nach außen dringt. Meine Abscheu vor Geheimnissen aber übersteigt wohl doch das übliche Maß. Ich gebe mir sogar Mühe, nicht die übliche Wendung »ein Geheimnis lüften« zu benutzen, sondern sage für gewöhnlich »ein Geheimnis ausgraben«. Dabei komme ich mir vor wie ein Umweltreiniger, ein Müllmann im wahrsten Sinne des Wortes.
So wie jetzt zum Beispiel.
Aus dem Bericht Lew Abalkins
In der Dunkelheit wird die Stadt flach wie ein alter Kupferstich. Ein trüber Widerschein des Schimmels zeigt sich in den schwarzen Fensteröffnungen. Auf den wenigen gepflasterten Freiflächen und auf dem Rasen aber schimmern kleine leblose Regenbögen - über Nacht haben sich dort die Kelche unbekannter, leuchtender Blumen geöffnet. In der Luft liegt ein nicht sehr starker, aber aromatischer Geruch, und hinter den Dächern steigt langsam der erste Mond auf. Er steht jetzt über der Hauptstraße - wie eine große gezähnte
Weitere Kostenlose Bücher