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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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Sichel - und taucht die Stadt in ein unangenehmes orangefarbenes Licht.
    Bei Wepl erregt der Mond eine unerklärliche Abscheu. Alle paar Minuten sieht er ihn mit furchtbar bösem Blick an und klappt dabei wie krampfhaft seine Schnauze auf und zu, als habe er das Verlangen zu jaulen, beherrsche sich aber. Das ist
umso seltsamer, als auf seinem Heimatplaneten Saraksch der Mond infolge der Lichtbrechung in der Atmosphäre völlig unsichtbar ist. Und gegenüber dem Erdenmond hat sich Wepl, soweit ich weiß, immer völlig gleichgültig verhalten.
    Dann bemerken wir zwei Kinder.
    Hand in Hand und ganz leise gehen sie den Fußweg entlang, als wollten sie sich in der Dunkelheit verbergen. Sie gehen in dieselbe Richtung wie Wepl und ich. Der Kleidung nach zu urteilen, sind es Jungen. Der eine ist größer, etwa acht Jahre alt, der andere noch klein, vielleicht vier oder fünf. Anscheinend sind sie gerade erst aus einer Seitenstraße eingebogen, sonst hätte ich sie von weitem gesehen. Sie scheinen schon sehr lange unterwegs zu sein, seit Stunden, sehen sehr müde aus und können kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Der Kleine geht schon gar nicht mehr, sondern schleppt sich an der Hand des Älteren weiter. An einem breiten Trageriemen baumelt dem Älteren eine flache Tasche von der Schulter herab, er rückt sie andauernd zurecht, aber sie schlägt ihm dennoch gegen die Knie.
    Der Translator übersetzt mit trockener, leidenschaftsloser Stimme: »Müde, die Beine tun weh. Geh, hab ich dir gesagt. Geh. Böser Mensch. Bist selber ein böser, schlechter Mensch. Schlange mit Rattenohren. Bist selber ein verfaulter Rattenschwanz.« So. Jetzt sind sie stehen geblieben. Der Jüngere windet seine Hand aus der des Älteren und setzt sich hin. Der Ältere zerrt ihn am Kragen hoch, aber der Jüngere setzt sich wieder, und da gibt ihm der Ältere eine Ohrfeige. Aus dem Translator strömt ein Schwall von »Ratten«, »Schlangen«, »stinkenden Tieren« und sonstiger Fauna. Dann beginnt der Jüngere laut zu weinen, was den Translator aus dem Konzept bringt; er verstummt. Zeit, sich einzumischen.
    »Guten Tag, Kinder«, sage ich nur mit den Lippen.
    Ich bin dicht an sie herangekommen, aber erst jetzt bemerken sie mich. Der Kleine hört augenblicklich auf zu weinen
und schaut mich erstaunt an. Der Ältere schaut auch, aber unter den Augenbrauen hervor, feindselig, die Lippen fest zusammengepresst. Ich gehe vor ihm in die Hocke und sage: »Hab keine Angst. Ich bin gut. Ich tu dir nichts.«
    Ich weiß, dass die Lingare keine Intonation wiedergeben, und deshalb bemühe ich mich, einfache beruhigende Worte zu finden.
    »Ich heiße Lew«, sage ich. »Ich sehe, ihr seid müde. Soll ich euch helfen?«
    Der Ältere antwortet nicht. Er schaut noch immer sehr misstrauisch unter den Brauen hervor und ist vorsichtig. Der Kleine aber interessiert sich plötzlich für Wepl und wendet kein Auge von ihm - man sieht, dass er gleichzeitig ängstlich und neugierig ist. Wepl sitzt ein Stück abseits, macht einen durch und durch gutmütigen Eindruck und hält den Kopf mit der hohen Stirn abgewandt.
    »Ihr seid müde«, sage ich. »Ihr wollt essen und trinken. Gleich gebe ich euch was Feines.«
    Da bricht es aus dem Älteren heraus. Sie sind überhaupt nicht müde, und sie brauchen nichts Feines. Gleich wird er diese Schlange mit Rattenohren zur Vernunft bringen, und sie werden weitergehen. Und wer sie nicht lässt, kriegt eine Kugel in den Wanst. So ist das.
    Sehr gut. Niemand denkt daran, sie nicht zu lassen. Aber wo wollen sie hin?
    Sie gehen dahin, wo sie hin müssen.
    Aber trotzdem, wohin? Womöglich haben wir denselben Weg? Dann könnte man die Schlange mit Rattenohren auf den Schultern tragen.
    Am Ende renkt sich alles ein. Es werden vier Tafeln Schokolade gegessen und zwei Flaschen Tonisator getrunken. In die kleinen Münder wird je eine halbe Tube Fruchtmasse ausgedrückt. Aufmerksam untersuchen die Kinder meinen Regenbogenanzug, und Wepl lässt sich (nach kurzer und sehr
energischer Diskussion) einmal (nur einmal!) streicheln (aber keinesfalls am Kopf, nur am Rücken). Bei Vanderhoeze an Bord schluchzt alles vor Rührung, und man hört ein vielstimmiges kindliches Lispeln.
    Es stellt sich Folgendes heraus.
    Die Jungen sind Brüder; der Ältere heißt Ijadrudan, der Kleine Pritulatan. Sie haben ziemlich weit von hier (wo, lässt sich nicht genau feststellen) zusammen mit dem Vater in einem großen weißen Haus mit einem Bassin im Hof gewohnt. Bis vor

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