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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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aber
bildeten die Laien unter den Verfechtern der Gesetzesänderung (die »Verweigerinnen«, ihre Ehemänner und Verwandten, Freunde, Sympathisanten, Personen, die sich der Bewegung aus religiösen oder philosophischen Erwägungen anschlossen) keine echte Massenbasis. Insgesamt zählte die Bewegung nicht mehr als eine halbe Million Befürworter. Was jedoch den professionellen Stab betrifft, so gehörten allein zur Gruppe VEPI 536 Fachleute zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung.
    5. Nach der Annahme der Novelle hörten die Verweigerungen zwar nicht auf, aber ihre Zahl ging merklich zurück. Das Wichtigste aber war, dass sich im Laufe des Jahres’85 die Epidemie veränderte, bzw. konnte man sie eigentlich nicht mehr als Epidemie bezeichnen. Jegliche Gesetzmäßigkeiten (die »Weigerungsketten«, die geografischen Konzentrationen) verschwanden. Die Weigerungen waren nun völlig zufällig und sporadisch, wobei die Motivierungen vom Typ A und B überhaupt nicht mehr vorkamen und stattdessen Verweise auf die Gesetzesnovelle überwogen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum Ärzte heutzutage die Verweigerung der Fukamisation überhaupt nicht mehr einer Fukamiphobie zuschreiben. Interessant ist zudem, dass viele Frauen, die die Fukamisation zur Zeit der Epidemie kategorisch ablehnten und aktiv an der Bewegung für die Gesetzesänderung teilnahmen, heute jegliches Interesse an dieser Frage verloren haben. Bei einer Geburt machen sie nicht einmal von ihrem Recht Gebrauch, sich auf die Novelle zu berufen. Von den Frauen, die sich im Zeitraum’81-’85 der Fukamisation verweigerten, lehnten diese bei der nächsten Geburt nur noch zu 12 Prozent ab. Dass die Fukamisation ein drittes Mal verweigert wird, kommt ganz selten vor: Im Laufe von 15 Jahren wurden nur einige Fälle verzeichnet.
    6. Zwei Umstände möchte ich besonders hervorheben:
    a. Das nahezu völlige Verschwinden der Fukamiphobie nach der Annahme der Gesetzesnovelle wird für gewöhnlich mit
den bekannten psychosozialen Faktoren erklärt. Der Mensch unserer Zeit akzeptiert nur die Beschränkungen und Pflichten, die sich aus den moralisch-ethischen Prinzipien der Gesellschaft ergeben. Jede andere Einschränkung oder Verpflichtung ruft bei ihm ein Gefühl von (unbewusster) Abneigung und (instinktivem) innerem Protest hervor. Sobald also die Freiwilligkeit bei der Fukamisation gegeben war, verloren die Menschen ihre Abneigung und begannen eine neutrale Einstellung zur Fukamisation zu gewinnen - wie zu jedem anderen medizinischen Verfahren.
    b. Die Fukamiphobie-Epidemie stimmt zeitlich mit dem Auftauchen des »Pinguin-Syndroms« überein (siehe meinen Bericht Nr. 011/99).
    Sapienti sat.
    T. Glumow

    Heute weiß ich, dass es genau dieser Bericht gewesen ist, der in meinem Bewusstsein etwas auslöste: einen kleinen Impuls, einen Schub - etwas, das mich schließlich zur Großen Offenbarung führen sollte. Dabei begann, so lächerlich das klingen mag, dieser Impuls damit, dass ich mich über Toivos grobe, sehr direkte Andeutungen ärgerte, die er zur angeblich verhängnisvollen Rolle der »Vertikalisten« bei der Gesetzesänderung gemacht hatte. Im Original des Berichts ist dieser Absatz dick von mir angestrichen. Ich weiß noch genau, dass ich damals vorhatte, Toivo wegen seiner übertriebenen Phantasie zur Rede zu stellen. Aber dann erfuhr ich von Hexenmeisters Besuch im Institut der Sonderlinge. Und in dem Moment - endlich - kam mir die Erleuchtung … Jetzt hatte ich anderes im Kopf, als jemanden zur Rede zu stellen.
    Ich befand mich auf einmal in der fürchterlichen Lage, dass es niemanden gab, mit dem ich offen hätte sprechen können.
Erstens hatte ich keinerlei Vermutungen. Zweitens wusste ich nicht, mit wem ich jetzt noch offen sprechen durfte - und mit wem nicht. Viele Jahre später habe ich meine Jungs gefragt, ob ihnen seinerzeit, in den (für mich) furchtbaren Apriltagen des Jahres’99, an meinem Verhalten etwas seltsam vorgekommen sei. Sandro steckte damals mitten im Projekt »Rip van Winkle« und war selbst ziemlich verwirrt; deshalb hatte er nichts bemerkt. Grischa Serossowin behauptete, ich sei damals sehr schweigsam gewesen und hätte auf jede seiner Initiativen mit einem rätselhaften Lächeln geantwortet. Und Kikin? Blieb sich selbst treu: Ihm sei schon damals »alles klar« gewesen. Was nun Toivo Glumow angeht, so hat ihn mein Verhalten in diesen Tagen sicher furchtbar geärgert - aber ich habe damals wirklich nicht gewusst, was ich tun sollte! Einen

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