Gesammelte Werke 1
Blauen Schlange aufgriff.«
Von nun an konnte er bei der Wahrheit bleiben, und das war leichter. Er versuchte, sich kurz zu fassen, gleichzeitig aber nichts Wichtiges zu verschweigen.
»… Ich habe sie so weit wie möglich in den Steinbruch geführt, sie aufgefordert zu fliehen und bin dann langsam zurückgekehrt. Anschließend hat Rittmeister Tschatschu auf mich geschossen. In der Nacht kam ich wieder zu mir, kroch aus dem Steinbruch heraus und gelangte wenig später zu einer Weide. Mehrere Tage lang versteckte ich mich tagsüber im Gebüsch und schlief. Nachts schlich ich mich zu den Kühen und trank ihre Milch. Dann ging es mir besser. Ich bekam von den Hirten ein paar alte Sachen, schlug mich zur Entensiedlung durch und suchte dort Illi Tader auf. Den Rest wissen Sie.«
Eine Zeit lang schwiegen alle. Dann meldete sich ein Mann mit schulterlangem Haar zu Wort, seinem Äußeren nach kam er vom Lande: »Ich verstehe nicht, dass er keine Erinnerung an sein früheres Leben hat. Ich denke, das gibt es nicht. Soll der Doktor was dazu sagen.«
»Das gibt’s«, erwiderte der Doktor lakonisch. Er war ein magerer Mann, fast ausgemergelt, und drehte eine Pfeife in den Händen. Anscheinend hätte er gerne geraucht.
»Warum sind Sie nicht mit den Verurteilten geflohen?«, fragte der Breitschultrige.
»Gai war noch dort«, sagte Maxim. »Ich hatte gehofft, Gai würde mitkommen.« Er verstummte. Wieder sah er Gais bleiches, verwirrtes Gesicht und die hasssprühenden Augen des Rittmeisters, spürte die heißen Stöße in Brust und Bauch, das Gefühl von Ohnmacht und tiefer Kränkung. »Es war dumm von mir«, gab er zu. »Aber damals wusste ich das nicht.«
»Haben Sie an Operationen teilgenommen?«, tönte aus dem Hintergrund die Stimme des massigen Memo.
»Das habe ich bereits erzählt.«
»Wiederholen Sie es!«
»Ich war an dieser einen Operation beteiligt, bei der Ketschef, Ordi, Sie und noch zwei andere, die ihre Namen nicht nennen wollten, festgenommen wurden. Der eine trug eine Handprothese und ist schon lange Revolutionär, ein Profi.«
»Wie erklären Sie sich die Eile des Rittmeisters? Ehe ein Anwärter das Recht auf die Blutprobe erwirbt, muss er an mindestens drei Aktionen teilgenommen haben.«
»Davon weiß ich nichts. Ich weiß nur, er hat mir nicht getraut. Ich begreife selbst nicht, warum er gerade mich zur Urteilsvollstreckung auswählte.«
»Wieso hat er eigentlich auf Sie geschossen?«
»Vermutlich vor Schreck. Ich wollte ihm die Pistole abnehmen.«
»Ich verstehe das nicht«, murrte der Langhaarige. »Schön, er hat Ihnen nicht getraut. Und um Sie zu prüfen, hat er Sie losgeschickt, um die Verurteilten hinzurichten.«
»Moment, Förster«, unterbrach ihn Memo. »Das alles ist doch nur leeres Gerede. Ich an Ihrer Stelle, Doktor, würde ihn untersuchen. Ich glaube nicht recht an die Geschichte mit dem Rittmeister.«
»Im Dunkeln kann ich ihn nicht untersuchen.« Der Doktor sagte es gereizt.
»Zünden Sie das Licht wieder an«, riet Maxim. »Ich sehe Sie sowieso.«
Kurze Zeit schwiegen alle.
»Was heißt, Sie sehen uns?«, fragte der Breitschultrige.
Maxim zuckte mit den Achseln. »Ich sehe eben.«
»Blödsinn!« Memo schien verärgert. »Was mache ich denn gerade - wenn Sie mich sehen?«
Maxim wandte sich um. »Sie haben Ihre MP auf mich gerichtet, das heißt, Sie denken, auf mich, in Wahrheit aber auf den Doktor. Sie sind Memo Gramenu, ich kenne Sie. Auf Ihrer rechten Wange ist eine Schramme, die hatten Sie früher nicht.«
»Nyktalopie«, murmelte der Doktor. »Machen wir Licht. Ist doch unsinnig: Er sieht uns, und wir sehen ihn nicht.« Er tastete nach den Streichhölzern und versuchte, sie anzuzünden. Doch eins nach dem anderen brach ab.
»Ja«, pflichtete Memo ihm bei. »Ist sowieso Quatsch. Hier kommt er entweder als einer von uns raus oder gar nicht.«
»Gestatten Sie …« Maxim streckte die Hand aus, ließ sich vom Doktor die Hölzer geben und zündete die Kerze an.
Die Umsitzenden zwinkerten oder hielten die Hände vor die Augen.
Der Doktor begann sofort zu rauchen. »Ziehen Sie sich aus«, forderte er Maxim auf. In seiner Pfeife knisterte es.
Maxim streifte das Hemd aus Segeltuch über den Kopf. Alle starrten auf seine Brust. Der Doktor kam hinter dem Tisch hervor, trat dicht heran und drehte Maxim hin und her, befühlte ihn mit kräftigen, kühlen Fingern. Es war still. Dann sagte der Langhaarige, und in seiner Stimme schwang Bedauern: »Hübscher Junge. Mein Sohn
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