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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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flüsterte Veronika; und wieder war danach dieses Schweigen.
    Aber Johannes war, als hätte ihn im Dunkeln eine heimliche Hand berührt, und er zitterte, als Veronika fortfuhr: «Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, was mir in diesem Augenblick geschah, mir ahnte plötzlich, Demeter müßte so sein wie der Hahn, in einer schrecklichen, weiten Leere lebend, aus der er plötzlich hervorschoß.» Johannes fühlte, daß sie ihn ansah. Es peinigte ihn, daß sie von Demeter sprach und dabei Dinge sagte, von denen er unklar fühlte, daß sie ihn angingen. Ein unbegreiflich ängstlicher Verdacht stieg in ihm auf, daß Veronika das, was bei ihm abstrakt und an Gott bloß vorbei, wie die gleich leeren Gefühlsrahmen in der Willensunbestimmtheit schlafloser Nächte gespannten Ichgesichte war, in etwas wollen könnte, das er tun sollte. Und es schien ihm, ohne daß er sich wehren konnte, daß ihre Stimme etwas Grausames und Mitleidiges und Lüsternes annahm, als sie fortfuhr: «Ich rief damals: Johannes würde so etwas nie tun! Aber Demeter sagte bloß: Pah Johannes, und steckte die Hände in die Tasche. Und nun – erinnerst du dich? – als du danach zum erstenmal wieder zu uns kamst, wie dich Demeter zur Rede stellte? ‹Die Veronika sagt, daß du mehr bist als ich›, höhnte er dich an, ‹aber du bist ja ein Feigling!› Und du warst damals wohl noch so, daß du dir das nicht sagen lassen konntest, und gabst ihm zurück: ‹Nun das möchte ich sehen.› Und darauf schlug er dich mit der Faust ins Gesicht. Und nun – nicht wahr? – da wolltest du zurückschlagen, aber wie du sein drohendes Antlitz sahst und auch den Schmerz stärker zu fühlen begannst, empfandest du plötzlich eine fürchterliche Angst vor ihm, oh ich weiß, fast eine ergebene, freundliche Angst, und mit einemmal lächeltest du, nicht wahr du wußtest nicht warum, aber du lächeltest und lächeltest, mit einem etwas verzogenen Gesicht, das ich spürte, etwas schüchtern unter seinen zornigen Augen, und doch mit einer so warmen, in dich hineinquellenden Süße und Sicherheit, daß es plötzlich die Beleidigung ausglich und in dich einordnete ... Damals sagtest du nachher zu mir, daß du Priester werden wolltest ... Da begriff ich plötzlich: nicht Demeter, sondern du bist das Tier ...»
    Johannes sprang auf. Er verstand nicht. «Wie kannst du so etwas sagen?» rief er, «woran denkst du?!»
    Aber Veronika verteidigte sich enttäuscht: «Warum bist du nicht Priester geworden?! Ein Priester hat etwas von einem Tier! Diese Leere, wo andre sich selbst haben. Diese Milde, die man schon an den Kleidern riecht. Diese leere Milde, die das Geschehen einen Augenblick lang aufgehäuft hält, wie ein Sieb, das dann gleich wieder leerläuft. Man müßte aus ihr es zu machen suchen. Ich wurde so glücklich, als ich das erkannte ...»
    Da fühlte er das Unmäßige seiner Stimme und mußte still werden und fühlte, wie er durch das Nachdenken über ihre Behauptung von sich abgebracht wurde, und es ward ihm heiß und verquollen vor Anstrengung bei der Bemühung, seine Einbildungen von der ihren, die irgendwo im Nebel ihnen glich, aber zugleich auch viel wirklicher war und eng wie eine Kammer zu zweit, nicht verwirren zu lassen.
    ... Als sie beide ruhiger geworden waren, sagte Veronika: «Es ist das, was ich immer noch nicht ganz zu verstehen glaube und wonach wir gemeinsam suchen sollten.» Sie machte die Türe auf und blickte die Treppe hinunter. Sie hatten beide das Gefühl, als schauten sie, ob sie allein seien, und wie ein großer Hohlraum stand das leere dunkle Haus plötzlich über sie gestülpt. Veronika sagte: «Alles, was ich geredet habe, ist es nicht ... Ich kenne es selbst nicht ... Aber sag du mir doch, was in dir vor sich ging, sag mir, wie das ist, mit dieser lächelnden, süßen Angst ...?! Ganz unpersönlich, ganz bis auf irgendeine nackte, warme Weichheit ausgekleidet erschienst du mir damals, als dich Demeter schlug.»
    Aber Johannes wußte es nicht zu sagen. Es gingen ihm so viele Möglichkeiten durch den Kopf. Es war ihm, als hörte er in einem Nebenzimmer sprechen und verstünde aus abgerissenen Stücken des Sinns, daß es von ihm war. Er fragte einmal: «Und du hast auch mit Demeter darüber gesprochen?» «Aber das war viel später,» antwortete Veronika und zögerte und sagte: «ein einziges Mal,» und nach einer Weile: «vor einigen Tagen. Ich weiß nicht, was mich trieb.» Johannes fühlte ... dumpf irgend etwas ... in seinem Bewußtsein war

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