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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Doch sie antwortete etwas, wovon er nur verstand: ... nicht lieben ... nicht heiraten ... ich kann die Tante nicht verlassen.
    Und noch einmal wiederholte er seinen Versuch, er sagte: «Veronika, ein Mensch, aber manchmal schon ein Wort, eine Wärme, ein Hauch ist wie ein Steinchen in einem Wirbel, das dir plötzlich den Mittelpunkt anzeigt, um den du dich drehst, ... wir müßten gemeinsam etwas tun, dann fänden wir es vielleicht ...» Doch ihre Stimme hatte noch mehr etwas Lüsternes als jenes Mal, da sie ihm das gleiche geantwortet hatte wie jetzt: «So unpersönlich kann wohl gar kein Mensch sein, könnte nur ein Tier ..., ja vielleicht wenn du sterben müßtest ...» Und dann sagte sie nein. Und da faßte ihn wieder dies, was eigentlich kein Entschluß war, sondern eine Vision, nichts was sich auf die Wirklichkeit bezog, sondern nur auf sich selbst wie eine Musik, er sagte: «Ich gehe fort; gewiß, vielleicht werde ich sterben.» Aber auch da wußte er, daß es nicht das war, was er meinte.
    Und stündlich in dieser Zeit suchte er sich Rechenschaft zu geben und fragte sich, wie sie in Wahrheit sein mußte, daß sie so viel vermochte. Er sagte manchmal: Veronika und fühlte an ihrem Namen den Schweiß, der daran haftet, das demütige, rettungslose Hinterhergehen und das feuchtkalte sich mit einer Absonderung Begnügen. Und er mußte an ihren Namen denken, sooft er die kleinen zwei Löckchen über ihrer Stirn vor sich sah, diese kleinen, sorgfältig wie etwas Fremdes an die Stirn geklebten Löckchen, oder ihr Lächeln, manchmal wenn sie bei Tisch saßen und sie die Tante bediente. Und er mußte sie ansehen, sooft Demeter sprach; aber er stieß immer wieder auf etwas, das ihn nicht verstehen ließ, wie ein Mensch gleich ihr zum Mittelpunkt seines leidenschaftlichen Entschlusses geworden sein konnte. Und wenn er nachdachte, war schon in seiner frühesten Erinnerung etwas längst Verflackertes wie der Duft verlöschter Kerzen um sie, etwas Umgangenes wie die Besuchszimmer im Haus, die reglos unter Leinenbezügen und hinter geschlossenen Vorhängen schliefen. Und nur wenn er Demeter sprechen hörte, Dinge so grauenhaft gewohnt und farblos wie diese von niemandem genützten Möbel, erschien ihm das alles wie ein Laster zu dritt.
    Und trotz allem mußte er später, wenn er an sie dachte, immer nur hören, wie sie nein sagte. Dreimal sagte sie plötzlich nein und er hörte sie ganz unbekannt darin. Einmal war es nur leise und dennoch sich merkwürdig schon aus dem Vorherigen herauslösend und durch das Haus gehoben und dann, dann war es wie ein Schlag mit der Peitsche oder wie ein besinnungsloses Sichfestklammern, aber dann war es noch einmal leise, zusammengesunken und fast wie ein Schmerz über Wehtun.
    Und zuweilen, jetzt schon wenn er an sie dachte, war ihm als ob sie schön wäre. Von einer höchst zusammengesetzten Schönheit, die man so leicht zu bewundern vergessen und wieder häßlich finden kann. Und er mußte denken, wenn sie vor ihm aus dem Dunkel des Hauses auftauchte, das sich hinter ihr ganz sonderbar ohne Bewegung wieder zusammenschloß, und mit ihrer machtvollen, ungewöhnlichen Sinnlichkeit – wie mit einer fremden Krankheit behaftet – an ihm vorüberglitt, er mußte dann jedesmal denken, daß sie ihn wie ein Tier empfand. Er fühlte es unbegreiflich und furchtbar in seiner größeren Wirklichkeit, als an die er zu Anfang geglaubt hatte. Und auch wenn er sie nicht sah, sah er alles mit übermäßiger Deutlichkeit vor sich, ihren hohen Wuchs und ihre breite, ein wenig flache Brust, ihre niedrige, wölbungslose Stirn mit den dicht und finster gleich über diesen fremden, sanften Löckchen zusammengeschlossenen Haaren, ihren großen, wollüstigen Mund und den leichten Flaum schwarzer Haare, der ihre Arme bedeckte. Und wie sie den Kopf gesenkt trug, als ob ihn der feine Hals nicht tragen könnte, ohne sich zu biegen, und die eigentümliche, fast schamlos gleichgültige Sanftmut, mit der sie den Leib ein wenig hervordrückte, wenn sie ging. Aber sie sprachen kaum mehr miteinander.
    Veronika hatte plötzlich einen Vogel rufen gehört und einen andern ihm antworten. Und damit endete es. Mit diesem kleinen zufälligen Ereignis, wie das so manchmal geht, endete es und es begann das, was nur mehr für sie war.
    Denn dann huschte, vorsichtig, hastig, wie die Berührung einer spitzen, schnellen, weichhaarigen Zunge, der Geruch des hohen Grases und der Wiesenblumen an den Gesichtern entlang. Und das letzte

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