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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sonst aus der matten Verwirrung der alltäglichen Geräusche sich kaum heraushebenden Stimmen wie zwei Strahlen schießen und sich ineinander schlingen, irgendwo, vielleicht sollte man diesen Punkt suchen wollen, dessen Nähe man hier nur an einer Unruhe gewahrt wie die Bewegung einer Musik, die noch nicht hörbar, sich schon mit schweren unklaren Falten in dem undurchrissenen Vorhang der Ferne abdrückt. Vielleicht daß diese Stücke hier dann aneinander sprängen, aus ihrer Krankheit und Schwäche hinweg ins Klare, Tagfeste, Aufgerichtete.
    «Kreisendes!» Nachträglich, in den Tagen einer fürchterlichen Entscheidung zwischen einer mit unsichtbarer Bestimmtheit wie ein dünner Faden gespannten Phantasie und der gewohnten Wirklichkeit, in diesen Tagen einer verzweifelten letzten Anstrengung jenes Unfaßbare in diese Wirklichkeit zu ziehen – und dann des Fallenlassens und sich in das einfach Lebendige wie in einen wirren Haufen warmer Federn Werfens sprach er es an wie einen Menschen. Er sprach in diesen Tagen stündlich mit sich selbst und sprach laut, weil er sich fürchtete. Es hatte sich etwas in ihm gesenkt, mit jener unverständlichen Unaufhaltsamkeit, mit der sich plötzlich irgendwo im Körper ein Schmerz verdichtet und zu einem entzündeten Gewebe wird und als Wirklichkeit weiter wächst und zu einer Krankheit wird, die mit dem milden, zweideutigen Lächeln der Peinigungen den Körper zu beherrschen anfängt.
    «Kreisendes,» flehte Johannes, «daß du doch auch außerhalb meiner wärst!» Und: «daß du ein Kleid hättest, an dessen Falten ich dich halten könnte. Daß ich mit dir sprechen könnte. Daß ich sagen könnte: du bist Gott, und ein kleines Steinchen unter der Zunge trüge, wenn ich von dir rede, um der größeren Wirklichkeit willen! Daß ich sagen könnte: dir befehl ich mich, du wirst mir helfen, du siehst mir zu, mag ich tun was ich will, etwas von mir liegt reglos und mittelpunktsstill, und das bist du.»
    Aber so lag er bloß mit dem Mund im Staub und einem wie ein Kind danach tastenden Herzen. Und wußte bloß, daß er es brauchte, weil er feig war, wußte es. Aber es geschah dennoch, wie um aus seiner Schwäche eine Kraft zu holen, die er ahnte und die ihn lockte, wie sonst nur in der Jugend manchmal etwas gelockt hatte, der mächtige, noch gänzlich antlitzlose Kopf einer unklaren Gewalt und man fühlt, daß man mit den Schultern unter ihn hineinwachsen und ihn sich aufsetzen könnte und mit dem eigenen Gesicht ihn durchdringen.
    Und einmal hatte er zu Veronika gesagt: es ist Gott; er war furchtsam und fromm, es war lange her und war sein erster Versuch, das Unbestimmbare, das sie beide fühlten, fest zu machen; sie glitten in dem dunklen Haus aneinander vorbei; aufwärts, abwärts, aneinander vorbei. Aber wie er es aussprach, war es ein entwerteter Begriff und sagte nichts von dem, was er meinte.
    Was er meinte aber, war damals vielleicht nur etwas wie jene Zeichnungen, die sich manchmal in Stein bilden, – niemand weiß, wo das lebt, worauf sie deuten, und wie es in seiner vollen Wirklichkeit sein mag, – an Mauern, in Wolken, in wirbelndem Wasser, was er meinte, war vielleicht nur das unbegreiflich Hergekommene von etwas noch Abwesendem wie jene seltenen Mienen in Gesichtern, die gar nicht mit diesen, sondern mit irgendwelchen anderen, plötzlich jenseits alles Gesehenen vermuteten Gesichtern zusammenhängen, waren kleine Melodien mitten in Geräuschen, Gefühle in Menschen, ja es gab in ihm Gefühle, die, wenn seine Worte sie suchten, noch gar keine Gefühle waren, sondern nur als hätte sich etwas in ihm verlängert, mit den Spitzen sich schon hineintauchend, benetzend, seine Furcht, seine Stille, seine Schweigsamkeit, wie die Dinge manchmal sich verlängern, an fieberhellen Frühlingstagen, wenn ihre Schatten über sie hinauskriechen und so still und nach einer Richtung bewegt stehen wie Spiegelbilder im Bach.
    Und er sagte oft zu Veronika, daß es wirklich nicht Furcht sei oder Schwäche, was in ihm war, sondern nur so, wie Angst manchmal bloß das Rauschen um ein noch nie gesehenes und noch nicht gesichtetes Erlebnis ist, oder wie man manchmal ganz bestimmt und ganz unverständlich weiß, daß Angst etwas von einer Frau an sich haben oder Schwäche einmal ein Morgen in einem Landhaus sein werde, um das die Vögel schrillen. Er war in dieser seltsamen Verfassung, daß solche halbe, unausdrückbare Bildungen in ihm entstanden.
    Einmal aber sah Veronika ihn an, mit ihren

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