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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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trübe Welt, in der alles verkrümmt und seltsam wird wie unter Wasser, und es erschien mir beinahe natürlich, daß ich Demeters Wunsch nachgeben sollte. Er sagte: ‹Es bleibt unter uns und existiert kaum wirklich, da es niemand weiß, es hat keine Beziehungen zur wirklichen Welt, um hinausgelangen zu können ...› Du darfst nicht glauben, Johannes, daß ich irgend etwas für ihn fühlte. Er tat sich bloß vor mir auf wie ein großer mit Zähnen bewehrter Mund, der mich verschlingen konnte, als Mann blieb er mir so fremd wie alle, aber es war ein Hineinströmen in ihn, was ich mir plötzlich vorstellte und zwischen den Lippen in Tropfen wieder Zurückfallen, ein Hineingeschlucktwerden wie von einem trinkenden Tier, so teilnahmslos und stumpf ... Man möchte manchmal Geschehnisse erleben, wenn man sie bloß als Handlungen tun könnte und mit niemandem und mit nichts. Aber da fielst du mir ein, und ich wußte nichts Bestimmtes, aber ich wies Demeter zurück, ... es muß deine Art geben, für das Gleiche, eine gute ...»
    Johannes stammelte: «Was meinst du?»
    Sie sagte: «Ich habe eine unklare Vorstellung von dem, was man einander sein könnte. Man hat doch Furcht voreinander, selbst du bist, manchmal wenn du sprichst, so hart und fest wie ein Stein, der nach mir schlägt: ich meine aber eine Art, wo man sich ganz in dem auflöst, was man einander ist, und nicht außerdem noch fremd dabei steht und zuhört ... Ich weiß es nicht zu erklären, ... das, was du manchmal Gott nennst, ist so ...»
    Dann sagte sie Dinge, die Johannes völlig unklar blieben: «Er, den du meinen solltest, ist nirgends, weil er in allem ist. Er ist eine böse dicke Frau, die mich zwingt, ihre Brüste zu küssen, und ist zugleich ich, die manchmal, wenn sie allein ist, sich flach vor einem Schrank auf die Erde legt und so etwas denkt. Und du bist vielleicht so; du bist manchmal so unpersönlich und eingezogen wie eine Kerze im Dunkel, die nichts selbst ist und nur das Dunkel größer und sichtbarer macht. Seit ich dich damals dich fürchten sah, ist mir, als ob du zuweilen aus meinen Gedanken herausfielst, und nur die Furcht blieb wie ein dunkler Fleck und dann ein warmer, weicher Rand, der sie begrenzt. Und es kommt ja nur darauf an, daß man wie das Geschehen ist und nicht wie die Person, die handelt; man müßte jeder allein sein mit dem, was geschieht, und zugleich müßte man zusammen sein, stumm und geschlossen wie die Innenseite von vier fensterlosen Wänden, die einen Raum bilden, in dem alles wirklich geschehen kann und doch so ohne aus einem in den andern zu dringen, wie wenn es nur in Gedanken geschähe ...»
    Und Johannes verstand nicht.
    Da begann sie sich plötzlich zu verändern, wie etwas zurücksinkt, selbst die Linien ihres Gesichts wurden hier kleiner und dort größer; gewiß, sie hätte noch etwas sagen gekonnt, aber sie schien sich selbst nicht mehr die zu sein, die eben noch gesprochen hatte, und nur zögernd, wie einen weiten ungewohnten Weg kamen ihre Worte: «... was denkst du? ... ich glaube, so unpersönlich könnte überhaupt kein Mensch sein, könnte nur ein Tier ... Hilf mir doch, warum kann ich immer dabei nur an ein Tier denken ...?!»
    Und Johannes versuchte, sie irgendwie zu sich zu rufen, er sprach mit einemmal, er wollte plötzlich noch hören.
    Doch sie schüttelte nur den Kopf.
    Johannes; von da an fühlte Johannes eine furchtbare Leichtigkeit, an dem was er wollte, haarscharf noch vorbeizugreifen. Man kennt manchmal etwas nicht, das man im Dunkeln will, aber man weiß, daß man es verfehlen wird; man lebt dann sein Leben dahin wie in einem versperrten Zimmer, in dem man sich fürchtet. Es ängstigte ihn manchmal etwas, wie wenn er einmal plötzlich zu winseln anfangen könnte, auf vier Gliedern zu laufen und an Veronikas Haaren zu riechen; solche Vorstellungen fielen ihm ein. Aber nichts ereignete sich. Sie gingen aneinander vorbei; sie sahen einander an; sie wechselten belanglose oder suchende Worte – täglich.
    Und einmal zwar war ihm das plötzlich wie eine Begegnung in der Einsamkeit, um die die wirre, regellose Nähe mit einem Schlag fest und wie gewölbt wird. Veronika kam die Treppe herunter, an der unten er wartete; so standen sie vereinzelt in der Dämmerung. Und er dachte gar nicht, daß er von ihr etwas begehren wollte, aber wie wenn sie beide, wie sie dastanden, eine Phantasie in einer Krankheit wären, so anders notwendig erschien ihm, daß er da sagte: «Komm, gehen wir zusammen fort.»

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