Gesammelte Werke
sich sein Vater in Bewunderung seiner feudalen Freunde selbst angemaßt hatte, aber Ulrich war damals ein kleiner Knabe gewesen, und das gleichsam Unendliche, jedenfalls Unausmeßbare, das ein hoher, muskulöser Pferdeleib für ein bewunderndes Kind besitzt, stellte sich nun in der Empfindung wieder her wie ein märchenhaft-schauriges Gebirge, von der Haarheide überzogen, durch die das Zucken der Haut wie die Wellen eines Windes lief. Es war das, wie er bemerkte, eine jener Erinnerungen, deren Glanz von der Ohnmacht des Kindes kommt, sich seine Wünsche zu erfüllen; aber das sagt wenig, vergleicht man es mit der Größe dieses Glanzes, die geradezu überirdisch war, oder mit dem nicht weniger wunderbaren Glanz, den der kleine Ulrich ein wenig später mit den Fingerspitzen berührte, als er den ersten suchte. Denn zu jener Zeit waren in der Stadt die Ankündigungen eines Zirkus angeschlagen gewesen, worauf nicht nur Pferde, sondern auch Löwen, Tiger ebenso wie große, prächtige, in Freundschaft mit ihnen lebende Hunde vorkamen, und schon lange hatte er diese Anschläge angestarrt, als es ihm gelang, sich eines dieser bunten Papiere zu verschaffen und die Tiere auszuschneiden, denen er nun mit kleinen Holzständern Steife und Halt gab. Was sich sodann begab, läßt sich aber nur mit einem Trinken vergleichen, das den Durst nicht zu Ende löscht, auch wenn man es noch so lange fortsetzt; denn es hatte weder einen Halt, noch ergab es in wochenlanger Ausbreitung einen Fortschritt, und war ein dauerndes Hinübergezogenwerden in diese bewunderten Geschöpfe, die zu besitzen er mit dem unsäglichen Glück des einsamen Kindes jetzt ebenso stark vermeinte, wenn er sie ansah, wie er fühlte, daß daran etwas Letztes fehle, das durch nichts zu erfüllen war, wovon dann gerade das Verlangen das maßlos durch den Körper Strahlende erhielt. Mit dieser sonderbar grenzenlosen Erinnerung stieg aber nun in ganz natürlicher Weise auch ein anderes, wieder nur um wenig späteres, Erlebnis jener jungen Zeit aus der Vergessenheit auf und nahm trotz seiner kindlichen Hinfälligkeit von dem großen, mit offenen Augen träumenden Körper Besitz: Es war das des kleinen Mädchens, das nur zwei Eigenschaften hatte: die, ihm gehören zu müssen, und die der Kämpfe, die er deshalb mit anderen Buben bestand. Und von diesen beiden waren nur die Kämpfe wirklich, denn das kleine Mädchen gab es nicht. Sonderbare Zeit, wo er wie ein fahrender Ritter unbekannten Gegnern, und am liebsten, wenn sie größer waren als er und ihm in einer einsamen und eines Geheimnisses fähigen Straße begegneten, an die Brust sprang und mit dem Überraschten rang! Er hatte nicht wenig Prügel dafür erhalten und manchmal auch große Siege erfochten, aber wie immer es ausging, fühlte er sich um die Befriedigung betrogen. Und auf den naheliegenden Gedanken, daß die kleinen Mädchen, die er wirklich kannte, die gleichen Geschöpfe seien wie jenes, für das er stritt, ging sein Gefühl einfach nicht ein, denn er wurde wie alle Knaben seines Alters nur blöde und starr in weiblicher Gesellschaft; bis eines Tags davon allerdings eine Ausnahme geschah. Und nun erinnerte sich Ulrich so deutlich, als stünde das Bild im Kreis eines Fernrohrs, das durch die Jahre schaute, an einen Abend, wo Agathe für ein Kinderfest angekleidet wurde. Sie trug ein samtenes Kleid, und ihre Haare flössen wie Wellen von hellem Samt darüber, so daß er sich plötzlich bei ihrem Anblick, obgleich er selbst in einem erschrecklichen Ritterkostüm steckte, ganz in der gleichen unsagbaren Weise wie nach den Tieren auf den Ankündigungen des Zirkus danach sehnte, ein Mädchen zu sein. Er wußte damals noch so wenig von Mann und Frau, daß er das nicht für ganz unmöglich ansah, und doch schon so viel, daß er nicht, wie es Kinder sonst tun, gleich in einen Versuch ausbrach, die Erfüllung seines Wunsches zu erzwingen, sondern daß beides zusammen, wenn er heute einen Ausdruck dafür suchte, etwa dem Zustand entsprach, er taste im Dunkeln nach einer Tür, stoße auf einen blutwarmen oder warmsüßen Widerstand und presse sich immer wieder an ihn, der seinem Verlangen hindurchzudringen zärtlich entgegenkommt, ohne ihm Platz zu machen. Vielleicht glich es auch einer harmlosen Art vampyrischer Leidenschaft, die das ersehnte Wesen in sich einsog, doch wollte dieser kleine Mann jene kleine Frau nicht an sich ziehen, sondern sich ganz an ihre Stelle, und das geschah mit jener blendenden Zärtlichkeit,
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