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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Tag erwartet!»
    «Also tun wir es, nachdem Schwung da war.»
    «Es ist so unangenehm,» wandte Agathe ein «ihm nicht seinen Wunsch zu erfüllen.»
    «Er weiß es ja nicht mehr.»
    Sie sah ihn zweifelnd an. «Bist du dessen sicher?»
    «Oh?» rief Ulrich lachend aus «du hältst es vielleicht nicht für sicher?!»
    «Ich bin in nichts sicher» antwortete Agathe.
    «Und wenn es nicht sicher wäre: er war ja doch nie mit uns zufrieden!»
    «Das ist richtig» meinte Agathe. «Wir wollen es also später tun. Aber sag mir jetzt eines» fügte sie hinzu: «Kümmerst du dich nie um das, was man von dir verlangt?»
    Ulrich zögerte. «Sie läßt in einem guten Geschäft arbeiten» dachte er. «Ich hätte mir keine unnützen Sorgen zu machen brauchen, daß sie kleinstädtisch sein könnte!» Aber weil mit diesen Worten irgendwie der ganze gestrige Abend verbunden war, wünschte er eine Antwort zu geben, die wohl bestehen bleiben und ihr dienen sollte; wußte aber nicht, wie es anzufangen sei, damit sie ihn keinesfalls falsch verstehe, und sagte schließlich unerwünscht jugendlich: «Nicht nur der Vater ist tot, auch die Zeremonien, die ihn umgeben, sind ja tot. Sein Testament ist tot. Die Leute, die hier erscheinen, sind tot. Ich will damit nichts Böses sagen; weiß Gott, wie dankbar man vielleicht den Wesen sein muß, die zur Festigkeit der Erde beitragen: aber all das gehört zum Kalk des Lebens, nicht zum Meer!» Er gewahrte einen unschlüssigen Blick seiner Schwester und wurde inne, wie unverständlich er daherrede. «Die Tugenden der Gesellschaft sind Laster für den Heiligen» ergänzte er lachend.
    Er legte ihr etwas gönnerhaft oder übermütig die Arme auf die Schultern; rein aus Verlegenheit. Aber Agathe trat ernst zurück und ging nicht darauf ein. «Hast du das erfunden?» fragte sie.
    «Nein, ein Mann, den ich liebe, hat das gesagt.»
    Sie hatte etwas von dem Unmut eines Kindes, das sich mit Nachdenken plagen muß, als sie Ulrichs Antworten in den Satz zusammenfaßte: «Du würdest also einen, der aus Gewohnheit ehrlich ist, kaum gut nennen; Aber einen Dieb, der zum erstenmal stiehlt, während ihm fast das Herz aus der Brust springt, nennst du gut?!»
    Ulrich staunte über diese etwas sonderbaren Worte und wurde dadurch ernster. «Ich weiß es wirklich nicht» sagte er kurz. «Ich selbst mache mir unter Umständen allerdings nicht viel daraus, ob etwas für recht oder unrecht gilt, aber ich kann dir keine Regel angeben, nach der man sich dabei zu richten vermöchte.»
    Agathe löste den suchenden Blick langsam von ihm los und nahm das Testament wieder auf: «Wir müssen weiterlesen, hier ist noch etwas angestrichen!» ermahnte sie sich selbst.
    Der alte Herr hatte, ehe er sich endgültig zu Bett legte, eine Reihe von Briefen verfaßt und gab in seinem Vermächtnis Aufklärungen zu ihrem Verständnis und über ihre Absendung. Was davon besonders angestrichen war, bezog sich auf Professor Schwung, und Professor Schwung war jener alte Kollege, der das letzte Lebensjahr des Vaters der beiden Geschwister durch den Kampf um den Paragraphen der verminderten Zurechnungsfähigkeit gallig verbittert hatte, nachdem sie ein Lebensalter lang Freunde gewesen waren. Ulrich erkannte sofort die wohlbekannten langen Auseinandersetzungen über Vorstellung und Wille, Schärfe des Rechts und Unbestimmtheit der Natur, von denen ihm sein Vater vor dem Abscheiden noch einmal eine zusammenfassende Darstellung gab, und nichts schien diesen in seinen letzten Tagen so sehr beschäftigt zu haben wie die Denunziation der Sozialen Schule, der er sich angeschlossen hatte, als Ausfluß preußischen Geistes. Er hatte soeben eine Broschüre auszuarbeiten begonnen, die den Titel führen sollte: «Staat und Recht oder Konsequenz und Denunziation», als er sich schwach werden fühlte und erbittert das Schlachtfeld im Alleinbesitz seines Gegners sah. In feierlichen Worten, wie sie nur die Nähe des Todes und der Kampf um das heilige Gut der Reputation eingeben, verpflichtete er seine Kinder, sein Werk nicht verfallen zu lassen, und namentlich seinen Sohn, die Beziehungen zu maßgebenden Kreisen, die er dank der nimmermüden Ermahnungen seines Vaters gewonnen habe, zu nutzen, um die Hoffnungen des Professors Schwung auf Verwirklichung seiner Bestrebungen gründlich zunichte zu machen.
    Wenn man solches geschrieben hat, so schließt es nicht aus, daß man nach getanem oder vielmehr vorgesehenem Werk das Bedürfnis fühlt, einem gewesenen Freund seine

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