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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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machen. Wenn man bis zu dem Punkt gelangt, wo man Wahlgelder spendet und Bilder kauft, erwirbt man auch die staatliche Nachsicht. Es gibt dabei ungeschriebene Regeln: spendet einer für Kirchenzwecke, Wohltätigkeitswerke und politische Parteien, so braucht es höchstens ein Zehntel von dem zu sein, was er aufwenden müßte, wenn er sich einfallen ließe, seinen guten Willen durch Kunstförderung zu beweisen. Auch gibt es noch Grenzen für den Erfolg: noch kann man nicht auf jedem Weg jedes erreichen; einige Grundsätze der Krone, des Adels und der Gesellschaft haben auf den ‹Emporkömmling› eine gewisse Bremswirkung. Andererseits bekennt sich aber der Staat für seine überpersönliche Person selbst auf das nackteste zu dem Grundsatz, daß man rauben, morden und betrügen dürfe, so daraus Macht, Zivilisation und Glanz entstehe. Ich behaupte natürlich nicht, daß alles das auch theoretisch anerkannt werde, es ist theoretisch vielmehr ganz unklar. Aber ich habe dir damit die allergewöhnlichsten Tatsachen mitgeteilt. Die moralische Argumentation ist daneben nur ein Mittel zum Zweck mehr, ein Kampfmittel, von dem man ungefähr ebenso Gebrauch macht wie von der Lüge. So sieht die von Männern geschaffene Welt aus, und ich würde eine Frau sein wollen, wenn nicht – die Frauen die Männer liebten!
    Als gut gilt heute, was uns die Illusion gibt, daß es uns zu etwas bringen werde: Diese Überzeugung ist aber genau das, was du den fliegenden Menschen ohne Reue genannt hast und ich als ein Problem bezeichnet habe, für dessen Lösung uns die Methode fehlt. Als wissenschaftlich erzogener Mensch habe ich in jeder Lage das Gefühl, daß meine Kenntnisse unfertig und bloß ein Wegweiser sind, und daß ich vielleicht schon morgen eine neue Erfahrung besitzen werde, die mich anders denken läßt als heute; anderseits wird auch ein ganz von seinem Gefühl ergriffener Mensch, ‹ein Mensch im Aufstieg›, wie du ihn dir ausgemalt hast, jede seiner Handlungen als eine Stufe empfinden, über die er zur nächsten emporgehoben wird. Da ist also etwas in unserem Geist und in unserer Seele, eine ‹Moral des nächsten Schritts›, aber ist das bloß die Moral der fünf Konkurse, reicht die Unternehmermoral unserer Zeit so weit ins Innere, oder ist das nur der Schein einer Übereinstimmung, oder ist die Moral der Karrieremacher die vor der Zeit zur Welt gekommene Spottgeburt tieferer Erscheinungen? Ich könnte dir im Augenblick darauf keine Antwort geben!»
    Die kleine Atempause, die Ulrich in seinen Erklärungen eintreten ließ, war durchaus nur rednerisch, denn er beabsichtigte, seine Ansichten noch weiter zu entwickeln. Aber Agathe, die bisher in der ihr manchmal eigentümlichen lebendig-leblosen Art zugehört hatte, brachte das Gespräch durch die einfache Bemerkung planwidrig vorwärts, daß ihr diese Antwort gleichgültig wäre, denn sie wolle nur wissen, wie es Ulrich in Person halte, und alles, was man denken könne, aufzufassen, sei sie außerstande. «Wenn du von mir aber in irgend einer Form verlangen solltest, daß ich etwas leiste, so werde ich lieber keinerlei Moral haben» fügte sie hinzu.
    «Gott sei Dank!» rief Ulrich aus. «Ich freue mich ja jedesmal, wenn ich deine Jugend, Schönheit und Kraft ansehe, und dann von dir höre, daß du gar keine Energie hast! Unser Zeitalter trieft ohnehin von Tatkraft. Es will nicht mehr Gedanken, sondern nur noch Taten sehn. Diese furchtbare Tatkraft rührt nur davon her, daß man nichts zu tun hat. Innerlich meine ich. Aber schließlich wiederholt jeder Mensch auch äußerlich sein Leben lang bloß ein und dieselbe Tat: er kommt in einen Beruf hinein und darin vorwärts. Ich glaube, hier sind wir wieder bei der Frage, die du mir vorhin unter freiem Himmel gestellt hast. Es ist so einfach, Tatkraft zu haben, und so schwierig, einen Tatsinn zu suchen! Das begreifen heute die wenigsten. Darum sehen die Tatmenschen wie Kegelspieler aus, die mit den Gebärden eines Napoleon imstande sind, neun hölzerne Dinger umzuwerfen. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie am Ende gewalttätig übereinander herfielen, bloß wegen der ihnen über den Kopf wachsenden Unbegreiflichkeit, daß alle Taten nicht genügen!...» Er hatte lebhaft begonnen, war aber wieder nachdenklich geworden und schwieg sogar eine Weile. Schließlich blickte er bloß lächelnd auf und begnügte sich zu sagen: «Du erklärst, wenn ich von dir eine moralische Anstrengung verlangen sollte, so werdest du mich

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