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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Edelochsentum des ungekochten Naturgenusses liegt die mißverstandene letzte Auswirkung eines geheimnisvollen zweiten Lebens, und alles in allem muß es dieses also doch wohl geben oder gegeben haben!»
    «Dann solltest du lieber nicht darüber spotten» wandte Agathe ein, finster vor Wißbegierde und strahlend vor Ungeduld.
    «Ich spotte nur, weil ich es liebe» entgegnete Ulrich kurz.
    [◁]

12
    Heilige Gespräche. Wechselvoller Fortgang
    Es lag in der Folge immer eine große Anzahl von Büchern auf dem Tisch, die er teils von zu Hause mitgebracht, teils nachher gekauft hatte, und er sprach bald frei, bald schlug er zum Beweis, oder weil er einen Ausspruch wörtlich wiedergeben wollte, in ihnen eine der vielen Stellen auf, die er durch eingesteckte Zettel gekennzeichnet hatte. Es waren zumeist Lebensbeschreibungen und persönliche Äußerungen von Mystikern, was er vor sich hatte, oder wissenschaftliche Arbeiten über sie, und gewöhnlich zweigte er mit den Worten «Laß uns einmal so nüchtern wie möglich nachsehn, was hier vor sich geht» das Gespräch davon ab. Das war eine vorsichtige Haltung, die er freiwillig nicht so leicht aufgab, und so sagte er denn auch einmal: «Wenn du diese Beschreibungen ganz durchlesen könntest, die Männer und Frauen vergangener Jahrhunderte vom Zustand ihrer Gottesergriffenheit hinterlassen haben, so würdest du finden, daß zwischen allen Buchstaben Wahrheit und Wirklichkeit ist, und doch würden die aus diesen Buchstaben gebildeten Behauptungen deinem Gegenwartswillen aufs äußerste widerstreben.» Und er fuhr fort: «Sie sprechen von einem überflutenden Glanz. Von einer unendlichen Weite, einem unendlichen Lichtreichtum. Von einer schwebenden ‹Einheit› aller Dinge und Seelenkräfte. Von einem wunderbaren und unbeschreiblichen Aufschwung des Herzens. Von Erkenntnissen, die so schnell sind, daß alles zugleich ist, und wie Feuertropfen sind, die in die Welt fallen. Und anderseits sprechen sie von einem Vergessen und Nichtmehrverstehn, ja auch von einem Untergehn der Dinge. Sie sprechen von einer ungeheuren Ruhe, die den Leidenschaften entrückt ist. Einem Stummwerden. Einem Verschwinden der Gedanken und Absichten. Einer Blindheit, in der sie klar sehen, einer Klarheit, in der sie tot und übernatürlich lebendig sind. Sie nennen es ein ‹Entwerden› und behaupten doch, in vollerer Weise zu leben als je: Sind das nicht, wenn auch von der Schwierigkeit des Ausdrucks flimmernd verhüllt, dieselben Empfindungen, die man noch heute hat, wenn zufällig das Herz – ‹gierig und gesättigt›, wie sie sagen! – in jene utopischen Regionen gerät, die sich irgend- und nirgendwo zwischen einer unendlichen Zärtlichkeit und einer unendlichen Einsamkeit befinden?!»
    In die kleine Überlegungspause, die Ulrich machte, mischte sich die Stimme Agathes: «Es ist das, was du einmal zwei Schichten genannt hast, die in uns übereinander liegen.»
    «Ich – wann?» «Du bist ohne Ziel in die Stadt gegangen, und es war dir, als ob du in ihr aufgelöst würdest, aber zugleich hast du sie nicht mögen; und ich habe dir gesagt, daß es mir oft so ergeht.»
    «O ja! Du hast sogar darauf ‹Hagauer› gesagt!» rief Ulrich aus. «Und wir haben gelacht: jetzt erinnere ich mich wohl. Aber das haben wir nicht ganz wirklich gemeint. Ich habe dir ja auch sonst schon vom gebenden und vom nehmenden Sehen, vom männlichen und weiblichen Prinzip, vom Hermaphroditismus der Urphantasie und Ähnlichem erzählt: ich kann viel davon reden! Als wäre mein Mund so fern von mir wie der Mond, der auch immer zur Stelle ist, wenn man in der Nacht einen Vertrauten zum Schwätzen braucht! Aber was diese Frommen von den Abenteuern ihrer Seele erzählen,» fuhr er fort, wobei sich in die Bitterkeit seiner Worte wieder Sachlichkeit und auch Bewunderung mischte, «das ist zuweilen mit der Kraft und rücksichtslosen Überzeugung einer Stendhalschen Untersuchung geschrieben. Allerdings nur,» – schränkte er das ein – «solange sie rein bei den Erscheinungen bleiben und nicht sich ihr Urteil dareinmengt, das von der schmeichelhaften Überzeugung verfälscht wird, sie wären von Gott ausersehen worden, ihn unmittelbar zu erleben. Denn von diesem Augenblick an erzählen sie uns natürlich nicht mehr ihre schwer beschreiblichen Wahrnehmungen, in denen es keine Haupt- und keine Tätigkeitsworte gibt, sondern sprechen in Sätzen mit Subjekt und Objekt, weil sie an ihre Seele und an Gott wie an zwei Türpfosten

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