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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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gewesen. Er hat damit getroffen werden sollen und nicht die Juden, und darum hat man den Juden neben diesen Namen auch noch solche gegeben, wie Abeles, Jüdel oder Tröpfelmacher. Dieses Ressentiment unserer Bürokratie gegen den alten Adel könnten Sie, wenn Sie vollen Einblick hätten, nicht selten auch heute noch beobachten» weissagte er düster und verstockt, so als ob der Kampf der zentralen Verwaltung mit dem Feudalismus nicht längst von der Geschichte überholt worden und den Lebenden völlig aus dem Gesicht geschwunden wäre. Und wirklich konnte sich Se. Erlaucht über nichts aus so reinem Herzen ärgern wie etwa über die gesellschaftlichen Vorrechte, die hohe Beamte vermöge ihrer Stellung genossen, mochten sie auch Fuchsenbauer oder Schlosser heißen. Graf Leinsdorf war kein eigensinniger Krautjunker, er wünschte zeitgemäß zu fühlen, und es störten ihn solche Namen weder an einem Parlamentarier, mochte er selbst Minister sein, noch an einem einflußreichen Privatmann, auch sperrte er sich niemals gegen die politische und wirtschaftliche Geltung des Bürgertums, aber gerade hohe Verwaltungsbeamte mit bürgerlichen Namen reizten ihn mit einer Inbrunst, die ein letzter Rest ehrwürdiger Überlieferungen war. Ulrich fragte sich, ob nicht Leinsdorfs Bemerkung durch den Gatten seiner Kusine hervorgerufen worden wäre; auch das war nicht unmöglich, aber Graf Leinsdorf fuhr fort zu reden und wurde, wie es immer geschah, alsbald von einer Idee, die ihn offenbar schon lange beschäftigte, über alles Persönliche hinausgehoben. «Die ganze sogenannte Judenfrage wäre aus der Welt geschafft, wenn die Juden sich entschließen wollten, hebräisch zu sprechen, ihre alten eigenen Namen wieder anzunehmen und orientalische Kleidung zu tragen» erklärte er. «Ich gebe zu, daß ein soeben erst bei uns reich gewordener Galizianer im Steireranzug mit Gamsbart auf der Esplanade von Ischl nicht gut aussieht. Aber stecken Sie ihn in ein lang herab wallendes Gewand, das kostbar sein darf und die Beine verdeckt, so werden Sie sehen, wie ausgezeichnet sein Gesicht und seine großen lebhaften Bewegungen zu dieser Kleidung passen! Alles, worüber man sich jetzt Witze erlaubt, wäre dann am richtigen Ort; selbst die kostbaren Ringe, die sie gerne tragen. Ich bin ein Gegner der Assimilation, wie sie der englische Adel praktiziert; das ist ein langwieriger und unsicherer Prozeß: Aber geben Sie den Juden ihr wahres Wesen zurück, und Sie sollen sehen, wie diese ein Edelstein, ja geradezu ein Adel besonderer Art unter den Völkern sein werden, die sich um den Thron Seiner Majestät dankbar scharen oder, wenn Sie sich das lieber alltäglich und ganz deutlich vorstellen wollen, auf unserer Ringstraße spazieren gehn, die dadurch so einzigartig in der Welt dasteht, daß man auf ihr inmitten der höchsten westeuropäischen Eleganz, wenn man mag, auch einen Mohammedaner mit seinem roten Kappl, einen Slowaken im Schafpelz oder einen Tiroler mit nackten Beinen sehen kann!»
    Hier konnte Ulrich nicht anders, als seiner Bewunderung für den Scharfblick Sr. Erlaucht Ausdruck zu geben, dem es nun auch vorbehalten gewesen sei, den «wahren Juden» zu entdecken.
    «Ja, wissen Sie, der echte katholische Glaube erzieht dazu, die Dinge zu sehn, wie sie wirklich sind» erläuterte der Graf huldvoll. «Aber Sie würden nicht erraten, wie ich daraufgeführt worden bin. Nicht durch den Arnheim, von den Preußen red ich jetzt nicht. Aber ich habe einen Bankier, natürlich mosaischer Religion, mit dem ich schon seit langer Zeit regelmäßig konferieren muß, und da hat mich anfangs sein Tonfall immer etwas gestört, so daß ich auf das Geschäftliche nicht recht habe aufpassen können. Er spricht nämlich genau so, wie wenn er mir einreden möchte, daß er mein Onkel wäre; ich meine, so wie wenn er gerade vom Pferd abgestiegen wäre oder vom großen Hahn zurückkäme; so, wie unsere eigenen Leute reden, möchte ich halt sagen: Kurz und gut aber, hie und da, wenn er in Eifer kommt, mißlingt ihm das, und dann, kurz gesagt, jüdelt er halt. Das hat mich sehr gestört, habe ich, glaub ich, anfangs schon bemerkt; weil das nämlich immer gerade in den geschäftlich wichtigen Augenblicken vorgekommen ist, so daß ich unwillkürlich schon darauf gewartet habe und auf das andere schließlich gar nicht mehr habe aufpassen können oder einfach aus allem etwas Wichtiges herausgehört habe. Da bin ich dann aber eben darauf gekommen: Ich hab mir einfach jedesmal,

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