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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Vorgänger unter Leopold von Babenberg auch auf die Jagd gegangen ist. Aber ich töte kein Tier,› – er ist nämlich bekannt dafür, daß er nie auf der Jagd einen Schuß löst – ‹weil mir eine innere Zuwiderheit sagt, daß sich das zu meinem Kleid nicht schickt. Und zu dir kann ich ja davon sprechen, weil wir schon als Buben miteinander tanzen gelernt haben. Aber ich werde niemals öffentlich auftreten und sagen: du sollst auf der Jagd nicht schießen! Mein Gott, wer weiß, ob es wahr wäre, und jedenfalls ist es ja keine Kirchenlehre. Die Leut bei deiner Freundin treten aber mit so etwas auf, kaum daß es ihnen eingefallen ist! Da hast du das, was man heute Geist nennt!› Er hat leicht lachen,» sprach Graf Leinsdorf nun wieder in eigenem Namen weiter «weil sein Amt beharrlich ist. Wir Laien haben aber das schwere Amt, auch in dem unbeharrlichen Wechsel das Gute zu finden. Das habe ich ihm auch gesagt. Ich habe ihn gefragt: ‹Wozu hat Gott überhaupt zugelassen, daß es eine Literatur gibt, eine Malerei und so weiter, wo sie uns im Grunde so fad sind?!› Da hat er mir eine sehr interessante Erklärung gegeben. ‹Hast du schon etwas von der Psychoanalyse gehört?› fragt er mich. Ich hab nicht recht gewußt, was ich antworten darf. ‹Also› sagt er ‹du wirst vielleicht erwidern, daß sie eine Schweinerei ist. Darüber wollen wir nicht streiten, das sagen alle Leute; trotzdem laufen sie zu diesen neumodischen Ärzten mehr als in unsern katholischen Beichtstuhl. Ich sag dir, sie laufen in hellen Scharen hin, weil das Fleisch schwach ist! Sie lassen ihre heimlichen Sünden besprechen, weil ihnen das ein großes Vergnügen ist, und wenn sie schimpfen, so sag ich dir, was man schimpft, das kauft man! Ich könnte dir aber auch beweisen, daß das, wovon sich ihre ungläubigen Ärzte einbilden, daß sie es erfunden haben, nichts ist, als was die Kirche schon in ihren Anfängen gemacht hat: den Teufel austreiben und die Besessenen heilen. Bis ins einzelne geht diese Übereinstimmung mit dem Ritual des Exorzismus, zum Beispiel, wenn sie mit ihren Mitteln versuchen, den Besessenen dahin zu bringen, daß er von dem zu erzählen anfangt, was in ihm steckt: das ist auch nach der Kirchenlehre genau der Wendepunkt, wo sich der Teufel zum erstenmal anschickt auszufahren! Wir haben uns bloß entgehen lassen, das rechtzeitig den veränderten Bedürfnissen anzupassen und statt von Unflaterei und Teufel von Psychose, Unbewußtem und dergleichen heutigem Zeug zu reden.› Finden Sie das nicht sehr interessant?» fragte Graf Leinsdorf. «Es kommt aber vielleicht noch interessanter, denn: ‹Wir wollen jedoch nicht davon reden, daß das Fleisch schwach ist,› hat er gesagt ‹sondern davon sprechen, daß auch der Geist schwach ist! Und da ist die Kirche wohl klug gewesen und hat sich nichts passieren lassen! Der Mensch fürchtet nämlich den Teufel, der ihm ins Fleisch fährt, auch wenn er so tut, als bekämpfe er ihn, lange nicht so sehr wie die Erleuchtung, die ihm vom Geist kommt. Du hast Theologie nicht studiert, aber du hast wenigstens Achtung vor ihr, und das ist mehr als ein weltlicher Philosoph in seiner Verblendung je erreicht: ich kann dir sagen, die Theologie ist so schwer, daß einer, wenn er sich fünfzehn Jahre nur mit ihr allein beschäftigt hat, erst weiß, daß er nicht ein einziges Wort von ihr wirklich versteht! Und da möchte natürlich kein Mensch glauben, wenn er wüßte, wie schwer es im Grunde ist, alle würden sie bloß auf uns schimpfen! Geradeso würden sie schimpfen, – verstehst du jetzt?› hat er listig gesagt – ‹wie sie jetzt auf die anderen schimpfen, auf die, was ihre Bücher schreiben und Bilder malen und Behauptungen aufstellen. Und wir lassen heute deren Anmaßung mit freudigem Herzen Raum, denn du kannst mir schon glauben: je ernster es einer von denen meint, je weniger er bloß für die Unterhaltung sorgt, und für seine Einkünfte, je mehr er also in seiner irrigen Weise Gott dient, desto fader ist er den Leuten, und desto mehr schimpfen sie auf ihn. ‹Das ist das Leben nicht!› sagen sie. Wir aber wissen ja, was das wahre Leben ist, und werden es ihnen auch zeigen, und weil wir auch warten können, wirst du vielleicht selbst noch erleben, daß sie voller Wut über die vergebliche Gescheitheit zu uns zurückgelaufen kommen. An unseren eigenen Familien kannst du es heute schon beobachten: und zur Zeit unsrer Väter haben sie, weiß Gott, geglaubt, daß sie aus dem Himmel eine

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