Gesammelte Werke
geschlagen haben, gleich alle einsperren soll, wohl aber hätte der Minister dafür vor dem Parlament würdige Worte der Abwehr finden müssen!» sagte er gekränkt.
«Ich dachte, das wäre in meiner Abwesenheit geschehn!?» rief Ulrich mit natürlich gespieltem Erstaunen aus, denn er gewahrte, daß ein echter Schmerz im Gemüt seines wohlwollenden Freundes wühle.
«Nix is geschehn!» sagte Se. Erlaucht. Er sah Ulrich abermals mit seinen sorgenvoll vorgequollenen Augen forschend ins Gesicht und eröffnete sich weiter: «Aber es wird etwas geschehn!» Er richtete sich auf und lehnte sich schweigend in seinen Stuhl zurück.
Er hatte die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete, begann er im ruhigen Ton einer Erklärung: «Sehen Sie, lieber Freund, unsere Verfassung vom Jahre achtzehnhunderteinundsechzig hat der deutschen Nationalität und in ihr wieder dem Besitz und der Bildung unbestritten die Führung im versuchsweise eingeführten Staatsleben gegeben. Das war ein großes, vertrauensvolles und vielleicht sogar nicht ganz zeitgemäßes Geschenk der Generosität Seiner Majestät; denn was ist seither aus Besitz und Bildung geworden?!» Graf Leinsdorf erhob eine Hand und ließ sie ergeben auf die andere sinken. «Als Seine Majestät im Jahre achtzehnhundertachtundvierzig den Thron bestieg, zu Olmütz, also gleichsam im Exil –» fuhr er langsam fort, wurde aber plötzlich ungeduldig oder unsicher, zog mit zitternden Fingern ein Konzept aus seinem Rock, kämpfte mit dem Kneifer aufgeregt um den rechten Platz auf der Nase und las das Weitere vor, stellenweise mit ergriffen bebender Stimme und immer angestrengt mit dem Entziffern seines Entwurfs beschäftigt: «– war er umtost von dem wilden Freiheitsdrang der Völker. Es gelang ihm, den Überschwang desselben zu bändigen. Er stand, wenn auch nach einigen Konzessionen an den Willen der Völker, zum Schluß doch als Sieger da, noch dazu als gnädiger und huldreicher Sieger, der die Verfehlungen seiner Untertanen verzieh und ihnen die Hand zu einem auch für sie ehrenvollen Frieden bot. Die Verfassung und die anderen Freiheiten waren zwar von ihm unter dem Drucke der Ereignisse verliehen worden, immerhin waren sie ein freier Willensakt Seiner Majestät, die Frucht seiner Weisheit und seines Erbarmens und der Hoffnung auf die fortschreitende Kultur der Völker. Aber dieses schöne Verhältnis zwischen Kaiser und Volk ist in den letzten Jahren durch hetzerische, demagogische Elemente getrübt worden –» Graf Leinsdorf brach die Vorlesung seiner Darstellung der politischen Geschichte, darin jedes Wort sorgfältig überlegt und gefeilt war, da ab und blickte nachdenklich das Bild seines Vorfahren, des Maria-Theresien-Ritters und Marschalls an, das vor ihm an der Wand hing. Und als Ulrichs der Fortsetzung harrender Blick den seinen davon abzog, sagte er: «Weiter geht es noch nicht.»
«Aber Sie sehen, daß ich in der letzten Zeit eingehend diese Zusammenhänge erwogen habe» erläuterte er. «Das, was ich Ihnen da vorgelesen habe, ist der Anfang der Antwort, die der Minister dem Parlament hätte geben müssen, in der Angelegenheit der gegen mich gerichteten Demonstration, wenn er seinen Platz richtig ausgefüllt hätte! Ich hab mir das jetzt selbst nach und nach ausgedacht, und ich kann Ihnen wohl anvertraun, daß ich auch Gelegenheit haben werde, es Seiner Majestät vorzulegen, sobald ich damit fertig bin. Denn, sehen Sie, die Verfassung vom Jahre einundsechzig hat nicht ohne Absicht dem Besitz und der Bildung die Führung anvertraut; darin sollte eine Gewähr liegen: aber wo sind heute Besitz und Bildung?!»
Er schien sehr böse auf den Minister des Innern zu sein, und um ihn abzulenken, bemerkte Ulrich treuherzig, daß man doch wenigstens vom Besitz sagen könne, er sei heute außer in den Händen der Banken auch in den erprobten des Feudaladels.
«Ich habe gar nichts gegen die Juden» versicherte Graf Leinsdorf aus eigenem, als hätte Ulrich etwas gesagt, das diese Berichtigung erfordere. «Sie sind intelligent, fleißig und charaktertreu. Man hat aber einen großen Fehler begangen, indem man ihnen unpassende Namen gegeben hat. Rosenberg und Rosenthal zum Beispiel sind adelige Namen; Löw, Bär und ähnliche Viecher sind von Haus aus Wappentiere; Meier kommt vom Grundbesitz; Gelb, Blau, Rot, Gold sind Schildfarben: diese ganzen jüdischen Namen» eröffnete Se. Erlaucht überraschend «sind nichts als eine Insolenz unserer Bürokratie gegen den Adel
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