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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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wenn er so zu reden angefangen hat, vorgestellt, er spricht hebräisch, und da hätten Sie nun hören sollen, wie angenehm es dann klingt! Direkt bezaubernd; es ist eben eine Kirchensprache; so ein melodisches Singen – ich bin sehr musikalisch, muß ich da einfügen: mit einem Wort, er hat mir von da an die schwersten Zinseszins- oder Diskontberechnungen förmlich wie am Klavier eingeflößt.» Graf Leinsdorf lächelte aus irgendeinem Grunde melancholisch dazu.
    Ulrich erlaubte sich, die Bemerkung einzuflechten, daß die also durch die wohlwollende Teilnahme Sr. Erlaucht Ausgezeichneten voraussichtlich seinen Vorschlag ablehnen dürften.
    «Natürlich werden sie nicht wollen!» meinte der Graf. «Aber dann würde man sie eben zu ihrem Glück zwingen müssen! Die Monarchie hätte da geradezu eine Weltmission zu erfüllen, da kommt es nicht darauf an, ob der andere zunächst will! Wissen Sie, man hat schon manchen zuerst zwingen müssen. Aber bedenken Sie auch, was es heißt, wenn wir später mit einem dankbaren jüdischen Staat verbündet wären, statt mit den Reichsdeutschen und Preußen! Wo unser Triest sozusagen das Hamburg des Mittelländischen Meeres ist, abgesehen davon, daß man diplomatisch unüberwindlich wird, wenn man außer dem Papst auch noch die Juden für sich hat!»
    Abgerissen fügte er an: «Sie müssen nämlich daran denken, daß ich mich jetzt auch mit Währungsfragen befasse.» Und wieder lächelte er eigentümlich schwermütig und zerstreut.
    Es war auffallend, daß Se. Erlaucht wiederholt dringend um Ulrichs Besuch gebeten hatte und nun, wo dieser endlich gekommen war, nicht von den Fragen des Tages sprach, sondern verschwenderisch seine Ideen vor ihm ausstreute. Aber wahrscheinlich waren, während er seinen Zuhörer entbehren mußte, sehr viele Gedanken in ihm entstanden, und sie schienen der Unruhe der Bienen zu gleichen, die weit ausschwärmen, aber sich wohl zur rechten Zeit mit ihrem Honig sammeln werden.
    «Sie könnten mir vielleicht einwenden,» begann Graf Leinsdorf von neuem, obwohl Ulrich schwieg: «daß ich mich bei früheren Gelegenheiten wiederholt recht abfällig über die Finanz geäußert habe. Das will ich gar nicht bestreiten: denn was zuviel ist, ist natürlich zuviel, wir haben im heutigen Leben zuviel Finanz; aber gerade deshalb müssen wir uns mit ihr beschäftigen! Schaun Sie: Die Bildung hat dem Besitz nicht das Gleichgewicht gehalten, das ist das ganze Geheimnis der Entwicklung seit achtzehnhunderteinundsechzig! Und darum müssen wir uns mit dem Besitz beschäftigen.» Se. Erlaucht machte eine kaum merkliche Pause, gerade lang genug, dem Zuhörer anzukündigen, daß nun das Geheimnis des Besitzes käme, fuhr dann aber in düsterer Vertraulichkeit fort: «Sehen Sie, an einer Bildung ist das wichtigste das, was sie dem Menschen verbietet: es gehört nicht zu ihr, und damit ist es erledigt. Ein gebildeter Mensch wird zum Beispiel niemals die Soße mit dem Messer essen; weiß Gott, warum; das kann man nicht in der Schule beweisen. Das ist der sogenannte Takt, dazu gehört ein bevorzugter Stand, zu dem die Bildung aufblickt, ein Bildungsvorbild, kurz, wenn ich so sagen darf, ein Adel. Ich gebe zu, daß der unsere nicht immer so war, wie er hätte sein können. Und gerade darin liegt der Sinn, der geradezu revolutionäre Versuch der Verfassung von achtzehnhunderteinundsechzig: Besitz und Bildung hätten an seine Seite treten sollen. Haben sie es zustande gebracht? Haben sie die große Aussicht, die ihnen die Gnade Seiner Majestät damals eingeräumt hat, auszunutzen vermocht?! Ich bin überzeugt, Sie werden auch nicht behaupten, daß die Erfahrungen, die wir jede Woche an dem großen Versuch Ihrer Frau Kusine erleben, solchen Hoffnungen entsprechen!» Seine Stimme belebte sich wieder, und er rief aus: «Wissen Sie, es ist ja sehr interessant, was sich alles heute Geist nennt! Ich hab neulich Seiner Eminenz, dem Kardinal, auf der Jagd in Mürzsteg davon erzählt – nein in Mürzbruck ist es gewesen, auf der Hochzeit der kleinen Hostnitz! – da schlagt er die Händ zusammen und lacht: ‹Alle Jahr› sagt er ‹was andres! Da siehst, wie anspruchslos wir sind: fast seit zweitausend Jahren erzählen wir den Leuten nichts Neues!› Und das ist sehr wahr! Der Glaube besteht nämlich in der Hauptsache darin, daß man immer das gleiche glaubt, möchte ich sagen, wenn das auch eine Ketzerei ist. ‹Siehst du,› sagt er da ‹da bin ich immer auf der Jagd, weil schon mein

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