Gesammelte Werke
Königs von Italien etwas in einem Triester Büro zu tun haben, so werden Sie keinen Beamten finden, der nicht eine Blume in seinem Knopfloch hat!»
«Aber warum hat man das bis jetzt geduldet?» erkundigte sich Ulrich.
«Warum soll man’s denn nicht dulden?!» antwortete Graf Leinsdorf mißvergnügt. «Wenn die Regierung die Gemeinde zwingt, ihre ausländischen Angestellten zu entlassen, dann heißt es gleich, daß wir germanisieren. Und diesen Vorwurf fürchtet eben jede Regierung. Auch Seine Majestät hört ihn nicht gern. Wir sind ja keine Preußen!»
Ulrich glaubte sich zu erinnern, daß die Küsten- und Hafenstadt Triest von der ausgreifenden Venetianischen Republik auf slawischem Boden gegründet worden sei und heute eine große slowenische Bevölkerung umschließe; selbst wenn man sie also, obwohl sie außerdem die Pforte des Orienthandels der ganzen Monarchie war und von dieser in jeder gedeihlichen Weise abhing, bloß als eine Privatangelegenheit ihrer Einwohner ansehen mochte, kam man nicht um die Tatsache herum, daß ihr zahlreiches slawisches Kleinbürgertum dem bevorzugten italienisch sprechenden Großbürgertum auf das leidenschaftlichste das Recht bestritt, die Stadt als seinen Besitz anzusehn. Ulrich sagte das.
«Das ist schon richtig» belehrte ihn Graf Leinsdorf. «Aber sobald es heißt, daß wir germanisieren, sind die Slowenen sofort mit den Italienern verbündet, wenn sie sich sonst auch noch so wild in den Haaren liegen! In einem solchen Fall bekommen die Italiener auch die Unterstützung aller anderen Nationalitäten. Das haben wir oft genug erlebt. Wenn man realpolitisch denken will, muß man halt, ob man will oder nicht, die Gefahr für unser Einvernehmen doch in den Deutschen sehn!» Graf Leinsdorf schloß sehr nachdenklich und verharrte so auch eine Weile, denn er hatte den großen politischen Entwurf berührt, der ihn beschwerte, ohne ihm bis nun deutlich geworden zu sein. Plötzlich belebte er sich aber wieder und fuhr erleichtert fort: «Aber es ist denen andern diesmal wenigstens gut gesagt worden!» Er setzte mit einer vor Ungeduld unsicheren Bewegung abermals seinen Zwicker auf die Nase und las nun Ulrich mit genußvoller Betonung noch einmal alle Stellen des in der Zeitung wiedergegebenen Erlasses der kaiserlich-königlichen Statthalterei in Triest vor, die ihm besonders gefielen. «‹Wiederholte Mahnungen der staatlichen Aufsichtsbehörden haben nichts gefruchtet ... Schädigung der Landeskinder ... Angesichts dieser den behördlichen Anordnungen gegenüber hartnäckig beobachteten Haltung hat sich nunmehr der Statthalter in Triest genötigt gesehen, den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen durch Einschreiten von seiner Seite Geltung zu verschaffen ... ‹: Finden Sie nicht, daß das eine würdige Sprache ist?» unterbrach er sich. Er hob den Kopf, senkte ihn aber sogleich wieder, denn sein Verlangen war schon auf die Schlußstelle gerichtet, deren urbane Amtswürde nun seine Stimme mit ästhetischer Genugtuung unterstrich: «‹Des weiteren bleibt es» las er vor «der Statthalterei ja jederzeit vorbehalten, etwa einlangende Einbürgerungsgesuche einzelner solcher öffentlichen Funktionäre, insoweit dieselben vermöge besonders langer Kommunaldienstzeit bei tadelloser Haltung einer ausnahmsweisen Berücksichtigung würdig erscheinen, individuell einer wohlwollenden Behandlung zu unterziehen, und es besteht bei der kaiserlich-königlichen Statthalterei die Geneigtheit, in solchen Fällen über etwaiges Einschreiten unter voller Wahrung ihres Standpunktes bis auf weiteres von einer sofortigen Durchführung dieser Verordnung abzusehen.› So hätte die Regierung immer sprechen sollen!» rief Graf Leinsdorf aus. «Meinen Erlaucht nicht, daß auf Grund dieser Schlußstelle ... am Ende doch wieder alles beim alten bleiben wird?!» fragte Ulrich ein klein wenig später, nachdem der Schwanz der kurialen Satzschlange gänzlich in seinem Ohr verschwunden war.
«Ja, das ist es eben!» erwiderte Se. Erlaucht und drehte wohl eine Minute lang den Daumen der einen Hand um den der andern, wie er es immer tat, wenn ein schweres Nachsinnen in ihm arbeitete. Dann aber sah er Ulrich prüfend an und eröffnete sich. «Erinnern Sie sich, daß der Innenminister, wie wir bei der Einweihung der Polizeiausstellung gewesen sind, einen Geist der ‹Hilfsbereitschaft und Strenge› in Aussicht gestellt hat? Nun, ich verlange ja nicht, daß man die hetzerischen Elemente, die dann vor meiner Tür Lärm
Weitere Kostenlose Bücher