Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Universität machen werden!›
    Ich möchte nicht behaupten,» schloß Graf Leinsdorf diesen Teil seiner Mitteilungen und eröffnete einen neuen «daß er alles wörtlich gemeint hat. Die Hostnitz in Mürzbruck haben nämlich einen berühmten Rheinwein, den der General Marmont im Jahre achtzehnhundertfünf dort zurückgelassen und vergessen hat, weil er so rasch auf Wien hat marschieren müssen; und von dem haben sie bei der Hochzeit geschenkt. Aber in der Mehrheit hat der Kardinal schon sicher das Rechte getroffen. Und wenn ich mich nun frage, wie ich das verstehen soll, so kann ich nur sagen: richtig ist es gewiß, aber stimmen tut es wohl nicht. Das heißt, es kann ja keinen Zweifel daran geben, daß die Leute, die wir da eingeladen haben, weil man uns sagt, daß sie den Geist unserer Zeit vorstellen sollen, mit dem wirklichen Leben nichts zu tun haben, und die Kirche kann auch ruhig abwarten; aber wir zivilen Politiker können nicht warten, wir müssen nun einmal aus dem Leben, wie es ist, das Gute herauspressen. Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein, sondern auch von der Seele: die Seele gehört sozusagen dazu, daß er das Brot recht verdauen kann; und darum muß man einmal –»: Graf Leinsdorf war der Meinung, daß die Politik die Seele antreiben müsse. «Das heißt, es muß etwas geschehen,» sagte er «das verlangt unsere Zeit. Dieses Gefühl haben heute sozusagen alle Menschen, nicht nur die politischen. Die Zeit hat so was Interimistisches, was auf die Dauer niemand aushält.» Er hatte die Idee gefaßt, daß man dem zitternden Gleichgewicht der Ideen, auf dem das nicht minder zitternde Gleichgewicht der europäischen Mächte ruhte, einen Stoß geben müsse. «Es ist beinah Nebensache, was für einen!» versicherte er Ulrich, der mit gespieltem Schreck erklärte, Se. Erlaucht sei in der Zeit ihrer Trennung beinahe ein Revolutionär geworden.
    «Ja warum nicht!» entgegnete Graf Leinsdorf geschmeichelt. «Seine Eminenz ist natürlich auch der Meinung gewesen, daß es wenigstens einen kleinen Schritt vorwärts bedeuten täte, wenn man Seine Majestät bestimmen könnte, das Ministerium des Innern anders zu besetzen, aber auf die Dauer verfangen so kleine Reformen nicht, wenn sie auch noch so notwendig sind. Wissen Sie, daß ich manchmal in meinen gegenwärtigen Überlegungen geradezu an die Sozialisten denke?!» Er ließ seinem Gegenüber Zeit, sich von dem Staunen zu erholen, das er als unvermeidlich voraussetzte, und fuhr dann entschieden fort: «Sie können mir glauben, daß der wahre Sozialismus gar nichts so Schreckliches wäre, wie man annimmt. Sie werden vielleicht einwenden, daß die Sozialisten Republikaner sind: gewiß, man darf halt nicht zuhören, wenn sie reden, aber wenn man sie realpolitisch nimmt, kann man beinahe überzeugt sein, daß eine sozialdemokratische Republik mit einem starken Herrscher an der Spitze gar keine unmögliche Staatsform wäre. Ich für meine Person bin sicher, daß sie, wenn man ihnen bloß ein bißchen entgegenkommt, gern auf die Anwendung roher Gewalt verzichten und vor ihren verwerflichen Grundsätzen zurückschrecken werden; sie neigen ohnehin schon zu einer Abmilderung des Klassenkampfes und der Eigentumsfeindlichkeit. Und es sind wirklich Leute unter ihnen, die noch den Staat vor die Partei stellen, während die Bürgerlichen seit den letzten Wahlen schon völlig in ihren nationalen Gegensätzen radikalisiert sind. Bleibt der Kaiser» fuhr er mit vertraulich gedämpfter Stimme fort. «Ich habe Ihnen schon vorhin angedeutet, daß wir lernen müssen, volkswirtschaftlich zu denken; die einseitige Nationalitätenpolitik hat das Reich in die Wüste geführt: dem Kaiser nun ist dieses ganze tschechisch-polnisch-deutsch-italienische Freiheitsgewurstel – ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll, sagen wir halt: von tiefstem Herzen Wurst. Was Seine Majestät im tiefsten Herzen empfindet, ist nur der Wunsch, daß die Wehrvorlagen ohne Abstriche bewilligt werden, auf daß das Reich stark sei, und dann noch eine lebhafte Abneigung gegen alle Anmaßungen der bürgerlichen Ideenwelt, die er sich wahrscheinlich aus dem Jahre achtundvierzig bewahrt hat. Aber mit diesen beiden Empfindungen ist Seine Majestät ja nichts anderes als sozusagen der Erste Sozialist im Staate: Ich denke, Sie erkennen jetzt die großartige Perspektive, von der ich spreche! Bleibt bloß die Religiosität, in der noch ein unüberbrückbarer Gegensatz besteht, und darüber müßte ich noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher