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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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mit Seiner Eminenz sprechen.»
    Se. Erlaucht versank schweigend in die Überzeugung, daß sich die Geschichte, besonders aber die seines Vaterlands, durch den unfruchtbaren Nationalismus, in den sie sich verrannt hatte, demnächst veranlaßt sehen werde, einen Schritt in die Zukunft zu tun, wobei er sich das Wesen der Geschichte insofern zweibeinig, andererseits aber als eine philosophische Notwendigkeit vorstellte. So war es begreiflich, daß er plötzlich und mit gereizten Augen, wie ein Taucher, der zu tief geraten ist, wieder an die Oberfläche stieß. «Jedenfalls müssen wir uns darauf vorbereiten, unsere Pflicht zu tun!» sagte er.
    «Worin sehen Erlaucht aber jetzt unsere Pflicht?» fragte Ulrich.
    «Was unsere Pflicht ist? Eben unsere Pflicht zu tun! Das ist das einzige, was man immer tun kann! Aber, um von etwas anderem zu reden» – Graf Leinsdorf schien sich erst wieder an den Stapel Zeitungen und Akten zu erinnern, auf dem er die Faust ruhen hatte: «Schaun Sie, das Volk verlangt heute eine starke Hand; eine starke Hand braucht aber schöne Worte, sonst läßt sich das Volk sie heute nicht gefallen. Und Sie, grad Sie, mein ich, haben eminent was von dieser Fähigkeit. Was Sie zum Beispiel das letzte Mal gesagt haben, als wir alle vor Ihrer Abreise bei Ihrer Kusine beisammen waren, daß wir eigentlich – wenn Sie sich erinnern – jetzt noch einen Hauptausschuß für die Seligkeit einsetzen müßten, damit sie sich mit unsrer irdischen Akkuratesse im Denken vereinbaren läßt: also ganz so einfach würde das zwar nicht gelingen, aber Seine Eminenz hat herzlich gelacht, wie ich ihm davon erzählt hab; ich hab es ihm nämlich ein bisserl, wie man zu sagen pflegt, unter die Nase gerieben, und wenn er sich auch immer über alles lustig macht, weiß ich doch ganz gut, ob ihm der Spott von der Galle oder vom Herzen kommt. Wir können Sie eben durchaus nicht entbehren, mein lieber Doktor –»
    Während alle anderen Äußerungen des Grafen Leinsdorf an diesem Tag die Beschaffenheit schwieriger Träume gehabt hatten, war der nun folgende Wunsch, Ulrich möge seine Absicht, die Ehrenstelle eines Sekretärs der Parallelaktion niederzulegen, «wenigstens vorläufig definitiv aufgeben», so bestimmt und scharf befiedert, und Graf Leinsdorf legte so überfallsartig die Hand auf Ulrichs Arm, daß dieser beinahe den nicht ganz befriedigenden Eindruck gewann, die vorangegangenen ausführlichen Reden seien, weit listiger, als er es voraussah, nur dazu bestimmt gewesen, seine Vorsicht einzuschläfern. Er war in diesem Augenblick recht ärgerlich auf Clarisse, die ihn in solche Lage gebracht hatte; aber da er Graf Leinsdorfs Gefälligkeit gleich in Anspruch genommen hatte, als eine Lücke im Gespräch die erste Gelegenheit dazu bot, und dabei von dem wohlwollenden hohen Herrn, der ohne Aufenthalt weiterreden wollte, sofort auf das freundlichste beschieden worden war, blieb ihm nichts übrig, als widerstrebend die Gegenrechnung zu begleichen.
    «Der Tuzzi hat mir auch schon sagen lassen,» erwiderte Graf Leinsdorf erfreut «daß Sie sich vielleicht für einen Mann aus seinem Büro entscheiden werden, der Ihnen alle unangenehme Arbeit abnehmen soll. ‹Gut,› habe ich geantwortet, ‹wenn er es nur überhaupt tut!› Schließlich ist das ein Mann mit einem Amtseid, den man Ihnen geben wird, und mein Sekretär, den ich Ihnen auch gern zur Verfügung stellen würde, ist ja leider ein Trottel. Bloß die Reservatsachen werden Sie ihm halt vielleicht doch lieber nicht zeigen, denn ganz angenehm ist es ja schließlich nicht, daß uns der Mann gerade vom Tuzzi rekommandiert wird, aber sonst machen Sie es sich in Zukunft nur so bequem, wie es Ihnen am angenehmsten ist!» schloß Seine Erlaucht huldvoll diese erfolgreiche Unterredung.
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21
    Wirf alles, was du hast, ins Feuer, bis zu den Schuhen
    Während dieser Zeit und von dem Augenblick an, wo sie allein zurückgeblieben war, lebte Agathe in einer völligen Entspannung aller Beziehungen und hold schwermütigen Willensferne; ein Zustand, der wie eine große Höhe war, wo nur der weite, blaue Himmel zu sehen ist. Sie ging täglich zu ihrem Vergnügen ein wenig durch die Stadt; sie las, wenn sie zu Hause war; sie oblag ihren Geschäften: sie empfand diese sanfte, nichtssagende Tätigkeit zu leben mit dankbarem Genuß. Nichts bedrängte ihren Zustand, kein Festhalten an der Vergangenheit, keine Anstrengung für die Zukunft; wenn ihr Blick auf ein Ding in ihrer Umgebung fiel, so

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