Gesammelte Werke
zum Sterben Ausgeblutetes in sich hat, die Farben aber in höchster Leidenschaft brennen. Er sah die blauen Fernblicke vor Augen, ohne Ende in ihrer geheimnisvoll reichen Abstufung. Er vergaß ganz die Frau, die wirklich vor ihm ging, war fern jedem Begehren und vielleicht nah der Liebe.
Er wurde erst durch den anhaltenden Blick einer anderen Frau abgelenkt, der ähnlich dem der ersten war, aber nicht so frech und fett wie dieser, sondern gesellschaftlich-delikat wie ein Pastellstrich und doch schon im Bruchteil einer Sekunde sich einprägend: er sah auf und gewahrte in einem Zustand völliger innerer Erschöpfung eine sehr schöne Dame, in der er Bonadea erkannte.
Der herrliche Tag hatte sie auf die Straße gelockt. Ulrich sah nach der Uhr: er war nur eine Viertelstunde spazieren gegangen, und seit er das Leinsdorfsche Palais verlassen hatte, waren es keine fünfundvierzig Minuten. Bonadea sagte: «Ich bin heute nicht frei.» Ulrich dachte: «Wie lang ist da erst ein ganzer Tag, ein Jahr, und gar ein Vorsatz fürs Leben!» Es war nicht zu ermessen.
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23
Bonadea oder der Rückfall
So geschah es, daß Ulrich bald darauf den Besuch seiner verlassenen Freundin empfing. Die Begegnung auf der Straße hatte weder für die Vorwürfe ausgereicht, die er ihr über den Mißbrauch seines Namens zu machen wünschte, als sie damit Diotimas Freundschaft gewann, noch hatte sie Bonadea genügend Zeit gelassen, ihm Vorwürfe wegen seines langen Schweigens zu machen und sich nicht nur gegen die Beschuldigung der Indiskretion zu verteidigen und Diotima eine «unvornehme Schlange» zu nennen, sondern dafür auch einen Beweis zu erfinden. Darum war zwischen ihr und ihrem in den Ruhestand getretenen Freund in Eile vereinbart worden, daß sie sich noch einmal aussprechen müßten.
Die erschien, war nicht mehr die Bonadea, die ihr Haar zwischen den Händen wand, bis es ihrem Kopf ein einigermaßen griechisches Aussehen gab, wenn sie sich mit blinzelnden Augen im Spiegel betrachtete und sich vornahm, daß sie ebenso rein und edel sein wolle wie Diotima, noch war es jene, die in wildgemachten Nächten ob solcher Entwöhnungskuren ihrem Vorbild schamlos und mit weiblicher Kundigkeit fluchte, sondern es war wieder die liebe alte Bonadea, der die Löckchen in die nicht sehr kluge Stirn fielen oder aus der Stirn stiegen, je nachdem es die Mode verlangte, und in deren Augen beständig etwas aussah wie die Luft, die über einem Feuer aufsteigt. Während Ulrich daran ging, sie zur Rede zu stellen, weil sie ihre Beziehung zu ihm seiner Kusine preisgegeben habe, setzte sie bedächtig vor einem Spiegel den Hut ab, und als er sich genau zu vergewissern wünschte, wieviel sie gesagt habe, beschrieb sie zufrieden und genau, daß sie Diotima vorgefabelt habe, sie hätte einen Brief von ihm erhalten, worin er sie bäte, dafür zu sorgen, daß Moosbrugger nicht vergessen werde, und wüßte nichts besseres, als sich damit an die Frau zu wenden, von deren hohen Sinn der Briefschreiber oft zu ihr gesprochen hätte. Dann setzte sie sich auf die Lehne von Ulrichs Stuhl, küßte seine Stirn und versicherte bescheiden, daß dies alles doch auch richtig sei, mit Ausnahme des Briefs.
Große Wärme ging von ihrem Busen aus. «Und warum hast du dann meine Kusine eine Schlange genannt? Du selbst warst eine!» sagte Ulrich.
Bonadea richtete die Augen nachdenklich von ihm weg auf die Wand. «Ach, ich weiß nicht,» gab sie zur Antwort «sie ist so nett zu mir. Sie nimmt soviel Anteil an mir!»
«Was heißt das?» fragte Ulrich. «Teilst du jetzt ihre Anstrengungen für das Gute, Wahre und Schöne?»
Bonadea erwiderte: «Sie hat mir erklärt, daß keine Frau so ihrer Liebe leben könne, wie es ihren Kräften entspräche, sie ebensowenig wie ich. Und darum muß jede Frau auf dem Platz, wohin sie vom Schicksal gestellt worden ist, ihre Pflicht tun. Sie ist ja so hochanständig» fuhr Bonadea noch nachdenklicher fort. «Sie redet mir zu, mit meinem Mann nachsichtig zu sein, und behauptet, daß eine überlegene Frau ein bedeutendes Glück in der Bemeisterung ihrer Ehe fände; das stellt sie viel höher als jeden Ehebruch: Und eigentlich habe ich ja selbst auch immer so gedacht!»
Und das war nun wirklich wahr; denn Bonadea hatte nie anders gedacht, sie hatte bloß immer anders gehandelt und konnte darum unbeschwerten Sinnes zustimmen. Als ihr Ulrich das erwiderte, zog es ihm abermals einen Kuß zu; diesmal schon etwas unter der Stirn. «Du verwirrst eben mein
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