Gesammelte Werke
erklärte er. Das war eine alte und eingebürgerte Formel dafür, daß er sich einen Schnaps wünsche.
Als er diesen getrunken hatte, ließ die Spannung seiner Nerven nach. «Was geht mich ein Narrenhaus an? Nur deinethalben muß ich hin!» klagte er. «Was soll ich überhaupt diesem blöden Professor sagen, wenn er mich fragt, warum ich mitgekommen bin?»
In diesem Augenblick ertönte am anderen Ende der Fernsprechleitung ein jubelnder Kriegsschrei.
«Schön!» sagte der General verdrießlich. «Aber ich muß außerdem dringend mit dir über heute abend reden. Und ich muß dem Exzellenz noch darüber Vortrag halten. Und um vier geht er weg!» Er sah nach seiner Uhr und rührte sich nicht vom Stuhl vor Hoffnungslosigkeit.
«Also ich bin ja fertig!» erklärte Ulrich.
«Deine Gnädige kommt nicht mit?» fragte Stumm erstaunt.
«Meine Schwester ist nicht zu Hause.»
«Schade!» bedauerte der General. «Deine Schwester ist die bewundernswerteste Frau, die ich je gesehen habe!»
«Ich dachte, das sei Diotima?» meinte Ulrich.
«Auch» erwiderte Stumm. «Auch sie ist bewundernswert. Aber seit sie sich der Sexualwissenschaft ergibt, komme ich mir wie ein Schulbub vor. Ich blicke ja gern zu ihr auf; denn, mein Gott, der Krieg ist, wie ich immer sag, ein einfaches und rauhes Handwerk; aber gerade auf sexuellem Gebiet widerstrebt es sozusagen der Offiziersehre, sich als Laie behandeln zu lassen!»
Sie hatten indessen doch den Wagen bestiegen und waren im schärfsten Trab davongefahren.
«Ist deine Freundin wenigstens hübsch?» erkundigte sich Stumm mißtrauisch.
«Eigenartig ist sie, du wirst ja sehen» erwiderte Ulrich.
«Also heute abend» seufzte der General «beginnt etwas. Ich erwarte ein Ereignis.»
«Das hast du noch jedesmal gesagt, wenn du zu mir gekommen bist» verwahrte sich Ulrich lächelnd.
«Kann schon sein, aber trotzdem ist es wahr. Und heute abend wirst du Zeuge der Entrevue zwischen deiner Kusine und der Professor Drangsal sein. Du hast doch hoffentlich nicht alles vergessen, was ich dir schon darüber gesagt hab? Also die Drangsal – so nennen wir sie nämlich, deine Kusine und ich – die Drangsal also hat deine Kusine so lang drangsaliert, bis es dazu gekommen ist; alle Leut hat sie haranguiert, heute sollen sich die zwei aussprechen. Wir haben bloß noch auf den Arnheim gewartet, damit er sich auch ein Urteil bilden kann.»
«So?» Das hatte Ulrich auch nicht gewußt, daß Arnheim, den er lange nicht gesehen hatte, zurückgekommen sei.
«Aber natürlich. Für ein paar Tage» erläuterte Stumm. «Da haben wir die Sache in die Hand nehmen müssen –» Plötzlich unterbrach er sich und prallte aus den schwankenden Polstern mit einer Geschwindigkeit gegen den Kutschbock, die ihm niemand zugetraut hätte: «Sie Trottel,» brüllte er gemessen ins Ohr der Ordonnanz, die als Zivilfuhrmann verkleidet die ministeriellen Pferde lenkte, und klammerte sich, hilflos gegen die Schwankungen des Wagens, an den Rücken des Beschimpften. «Sie fahren ja einen Umweg!» Der Soldat in Zivil hielt den Rücken steif wie ein Brett, empfindungslos gegen die außerdienstlichen Rettungsversuche, die der General daran anstellte, warf den Kopf genau um neunzig Grad herum, so daß er weder seinen General, noch seine Pferde sehen konnte, und meldete stolz einer ins Leere endenden Senkrechten, daß der nächste Weg wegen Straßenarbeiten auf dieser Strecke nicht zu befahren sei, aber bald wieder erreicht sein werde. «Na also, da habe ich doch recht!» rief Stumm zurückfallend aus, teils vor der Ordonnanz, teils vor Ulrich den vergeblichen Ausbruch seiner Ungeduld beschönigend: «Da muß der Kerl einen Umweg fahren, und ich soll doch meinem Exzellenz heute noch Vortrag halten, der um vier Uhr nach Haus will und selbst noch vorher dem Minister einen Vortrag halten muß! ... Seine Exzellenz, der Minister, hat sich nämlich für heute abend persönlich bei Tuzzis angesagt!» fügte er, ausschließlich für Ulrichs Ohren, leiser hinzu.
«Was du nicht sagst»!» Ulrich zeigte sich von dieser Nachricht überrascht.
«Ich sag dir ja schon lang, es liegt was in der Luft.»
Jetzt wollte Ulrich doch wissen, was in der Luft liege. «So sag schon, was der Minister will?!» forderte er.
«Das weiß er doch selbst nicht» erwiderte Stumm gemütlich. «Seine Exzellenz hat das Gefühl: jetzt ist es an der Zeit. Der alte Leinsdorf hat auch das Gefühl: jetzt ist es an der Zeit. Der Chef des Generalstabs hat ebenfalls das
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