Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
handeln. Die Herren Dichter,» – fügte er eifersüchtig hinzu, mit einem Versuch, über Agathes inbrünstige Wallfahrt zu scherzen, der in seinem Munde recht säuerlich wurde – «die dem Sinn der jungen Damen schmeicheln und dafür von ihnen überschätzt werden, haben es natürlich leichter als ich, wenn ich Ihnen sage, daß die Ehe eine Einrichtung der Verantwortlichkeit und der Herrschaft des Menschen über die Leidenschaften ist! Aber bevor sich ein einzelner von den äußeren Schutzmitteln losspricht, welche die Menschheit in richtiger Selbsterkenntnis gegen ihre eigene Unzuverlässigkeit aufgerichtet hat, sollte er sich wohl sagen, daß Isolierung und Bruch des Gehorsams gegen das höhere Ganze schlimmere Schäden sind als die Enttäuschungen des Leibes, vor denen wir uns so sehr fürchten!»
    «Das klingt wie ein Kriegsreglement für Erzengel,» sagte Agathe «aber ich sehe nicht ein, daß Sie recht haben. Ich werde Sie ein Stück begleiten. Sie müssen mir erklären, wie man so denken kann. Wohin gehen Sie jetzt?»
    «Ich muß nach Hause gehn» antwortete Lindner.
    «Würde denn Ihre Frau etwas dagegen haben, wenn ich Sie nach Hause begleite? Wir können in der Stadt unten einen Wagen nehmen. Ich habe noch Zeit!»
    «Es kommt mein Sohn aus der Schule heim» sagte Lindner mit abwehrender Würde. «Wir essen stets pünktlich; darum muß ich zu Hause sein. Meine Frau ist übrigens schon vor einigen Jahren plötzlich gestorben» verbesserte er Agathes fehlerhafte Annahme, und mit einem Blick auf die Uhr fügte er ängstlich und ärgerlich hinzu: «Ich muß mich beeilen!»
    «So müssen Sie mir das ein andermal erklären, es ist mir wichtig!» beteuerte Agathe lebhaft. «Wenn Sie nicht zu uns kommen wollen, so kann ich doch Sie aufsuchen.»
    Lindner schnappte nach Luft, aber es wurde nichts daraus. Endlich sagte er: «Aber Sie als Frau können mich doch nicht besuchen!»
    «Doch!» versicherte Agathe. «Sie werden sehn, eines Tags bin ich da. Ich weiß noch nicht wann. Und es ist gewiß nichts Schlimmes!» Damit verabschiedete sie ihn und schlug einen Weg ein, der sich von dem seinen trennte.
    «Sie haben keinen Willen!» sagte sie halblaut und versuchte Lindner nachzuahmen, aber das Wort Wille war dabei frisch und kühl im Munde. Gefühle wie Stolz, Härte, Zuversicht waren damit verbunden; eine stolze Tonart des Herzens: der Mann hatte ihr wohlgetan.
    [◁]
32
    Der General bringt Ulrich und Clarisse inzwischen ins Irrenhaus
    Indes sich Ulrich allein zu Hause befand, fragte das Kriegsministerium an, ob ihn der Herr Leiter des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens persönlich sprechen könnte, wenn er in einer halben Stunde zu ihm käme, und fünfunddreißig Minuten später schäumte das Dienstgespann des Generals von Stumm die kleine Rampe herauf.
    «Eine schöne Geschichte!» rief der General seinem Freund entgegen, dem es gleich auffiel, daß die Ordonnanz mit dem Brot des Geistes diesmal fehlte. Der General war in Waffenrock und hatte sogar die Orden angelegt. «Du hast mir eine schöne Geschichte eingebrockt!» wiederholte er. «Heute abend ist bei deiner Kusine große Sitzung. Ich habe noch nicht einmal meinem Chef darüber Vortrag halten können. Und da platzt jetzt die Nachricht, daß wir ins Narrenhaus sollen; spätestens in einer Stunde müssen wir dort sein!»
    «Aber warum denn»!» fragte Ulrich, wie es nahelag. «Gewöhnlich überläßt man das doch einer Vereinbarung!?»
    «Frag nicht so viel!» flehte ihn der General an. «Telefonier lieber augenblicklich deiner Freundin oder Kusine oder was sie ist, daß wir sie abholen müssen!»
    Während Ulrich nun den Krämer anrief, bei dem Clarisse ihre kleinen Einkäufe zu besorgen pflegte, und darauf wartete, daß sie an den Fernsprecher käme, erfuhr er das Unglück, das der General beklagte. Dieser hatte sich, um Clarissens durch Ulrich vermitteltem Wunsch zu willfahren, an den Chef des Militärärztlichen Dienstes gewendet, der sich wieder mit seinem berühmten Zivilkollegen, dem Vorstand der Universitätsklinik, in Verbindung gesetzt hatte, wo Moosbrugger einem Obergutachten entgegenharrte. Durch ein Mißverständnis der beiden Herren war dabei aber auch gleich Tag und Stunde verabredet worden, und Stumm hatte das mit vielen Entschuldigungen erst im letzten Augenblick erfahren, zugleich mit dem Irrtum, daß er selbst dem berühmten Psychiater angekündigt worden sei, der seinem Besuch mit großem Vergnügen entgegensehe.
    «Mir ist übel!»

Weitere Kostenlose Bücher