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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Fahrweg entgegenkam. Sie erzählte Ulrich, daß sich Walter und Meingast geweigert hätten mitzukommen. Und nachdem auch ein zweiter Wagen aufgetrieben war, sagte der General zufrieden zu Clarisse: «Gnädige haben, wie Sie da den Weg herabgekommen sind, ausgesehen wie ein Engerl!»
    Als er aber beim Tor der Klinik den Wagen verließ, sah Stumm von Bordwehr rot und etwas verstört aus.
    [◁]
33
    Die Irren begrüßen Clarisse
    Clarisse drehte ihre Handschuhe zwischen den Fingern, sah an den Fenstern empor und stand keinen Augenblick still, während Ulrich den Mietwagen bezahlte. Stumm von Bordwehr wollte nicht zulassen, daß Ulrich das tue, und der Kutscher saß wartend am Bock und lächelte geschmeichelt, während die beiden Herren einander aufhielten. Siegmund bürstete wie gewöhnlich mit den Fingerspitzen ein Stäubchen vom Rock oder starrte ins Leere. Leise sagte der General zu Ulrich: «Eine sonderbare Frau ist deine Freundin. Sie hat mir auf der Fahrt auseinandergesetzt, was Wille ist. Ich habe kein Wort verstanden!»
    «So ist sie» sagte Ulrich.
    «Hübsch ist sie» flüsterte der General. «Wie ein vierzehnjähriges Ballettmäderl. Aber warum sagt sie, daß wir hierhergefahren sind, um uns unserem ‹Wahn› zu überlassen? Die Welt ist zu ‹wahnfrei›, sagt sie? Weißt du darüber etwas Näheres? Es war so peinlich, ich hab ihr eigentlich nicht ein Wort erwidern können.»
    Der General verzögerte ersichtlich die Verabschiedung der Fuhrwerke nur deshalb, weil er diese Fragen stellen wollte; aber ehe Ulrich eine Antwort gab, wurde er ihrer durch einen Abgesandten enthoben, der die Angekommenen im Namen des Chefs der Klinik begrüßte und, seinen Herrn bei General von Stumm mit dringender Arbeit für eine kleine Weile entschuldigend, die Gesellschaft in einen Warteraum hinaufführte. Clarisse ließ keinen Stein der Treppe und der Gänge außer Augen, und auch in dem kleinen Empfangszimmer, das mit seinen Stühlen aus verschossenem grünen Samt an die altmodischen Wartesäle erster Klasse auf Eisenbahnhöfen erinnerte, war ihr Blick fast die ganze Zeit über in langsamer Bewegung. Da saßen die vier, nachdem sie der Abgesandte verlassen hatte, und sprachen anfangs kein Wort, bis Ulrich, um das Schweigen zu brechen, Clarisse mit der Frage neckte, ob ihr nicht schon davor grusele, Moosbrugger von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.
    «Ach!» sagte Clarisse wegwerfend. «Er hat ja nur Ersatzweiber gekannt; da hat es so kommen müssen!»
    Der General wollte sich wieder zu Ehren bringen, weil ihm nachträglich etwas eingefallen war. «Wille ist jetzt sehr modern» sagte er. «Auch in der Patriotischen Aktion beschäftigen wir uns viel mit diesem Problem.»
    Clarisse lächelte ihn an und dehnte die Arme, um die Spannung darin zu beruhigen. «Wenn man so warten muß, fühlt man das Kommende in den Gliedern, als ob man durch ein Fernrohr schaute» erwiderte sie.
    Stumm von Bordwehr dachte nach, er wollte nicht wieder zurückstehen. «Richtig!» sagte er. «Das hängt vielleicht mit der modernen Körperkultur zusammen. Mit der befassen wir uns auch!»
    Dann kam der Hofrat mit seiner Kavalkade von Assistenten und Volontärinnen hereingefegt, war sehr liebenswürdig, namentlich zu Stumm, erzählte etwas von etwas Dringendem und bedauerte, sich gegen seine Absicht auf diese Begrüßung beschränken zu müssen und nicht selbst die Führung übernehmen zu können. Er stellte Dr. Friedenthal vor, der das an seiner Stelle tun werde. Dr. Friedenthal war ein großer, schlanker und etwas weichlich gebauter Mann, hatte einen üppigen Scheitel und lächelte bei der Vorstellung wie ein Akrobat, der die Leiter hinaufsteigt, einen Todessprung vorzuführen. Als sich der Chef empfahl, wurden die Kittel gebracht.
    «Um die Patienten nicht zu beunruhigen» erläuterte Dr. Friedenthal.
    Clarisse fühlte, während sie in den ihren schlüpfte, einen eigenartigen Kraftzuwachs. Wie ein kleiner Arzt stand sie da. Sie kam sich sehr männlich und sehr weiß vor.
    Der General suchte einen Spiegel. Es war schwierig, einen Kittel zu finden, der sich dem ihm eigentümlichen Verhältnis von Höhe und Breite anpaßte; als es endlich gelang, seinen Körper vollständig einzuhüllen, sah er wie ein Kind im zu langen Nachthemd aus. «Meinen Sie nicht, daß ich die Sporen ablegen sollte?» fragte er Dr. Friedenthal.
    «Militärärzte tragen auch Sporen!» widersprach Ulrich.
    Stumm machte noch eine hilflose und verwickelte Anstrengung, um einen

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