Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
Gefühl: jetzt ist es an der Zeit. Wenn viele das haben, dann kann schon etwas Wahres daran sein.»
    «Aber wozu an der Zeit?» forschte Ulrich weiter.
    «Das braucht man deshalb noch nicht zu wissen!» belehrte ihn der General. «Das sind eben so absolute Eindrücke! Wie viele werden wir übrigens heute sein?» fragte nun er, sei es zerstreut, sei es nachdenklich.
    «Wie kannst du das mich fragen?» erwiderte Ulrich erstaunt.
    «Ich habe jetzt gemeint,» erklärte Stumm «wieviel wir sein werden, die ins Narrenhaus gehn? Entschuldige! Komisch was, so ein Mißverständnis? Es gibt halt Tage, wo zu viel auf einen eindringt! Also wieviel werden wir sein?»
    «Ich weiß nicht, wer mitkommt; je nachdem drei bis sechs Leute.»
    «Ich hab nämlich sagen wollen,» äußerte der General bedenklich «wenn wir mehr als drei sind, müssen wir einen zweiten Wagen nehmen. Du verstehst, weil ich in Uniform bin.»
    «Ja, natürlich» beruhigte ihn Ulrich.
    «Da darf ich nicht wie in einer Sardinenbüchse fahren.»
    «Gewiß. Aber sag, wie kommst du auf die absoluten Eindrücke?»
    «Aber werden wir denn da draußen auch einen Wagen bekommen?» grübelte Stumm. «Da sagen sich doch die Füchs gute Nacht!?»
    «Wir werden unterwegs einen mitnehmen» erwiderte Ulrich entschieden. «Und jetzt erklär mir, bitte, wieso ihr den absoluten Eindruck habt, daß jetzt etwas an der Zeit sei?»
    «Da ist gar nichts zu erklären» entgegnete Stumm. «Wenn ich von etwas sag, daß es absolut so und nicht anders sein muß, dann heißt das doch gerade, daß ich es nicht erklären kann! Man könnte höchstens hinzufügen, daß die Drangsal so eine Art Pazifistin ist, wahrscheinlich, weil der Feuermaul, den sie lanziert, Gedichte darüber macht, daß der Mensch gut ist. Daran glauben jetzt viele.»
    Ulrich wollte ihm nicht traun. «Du hast mir doch erst unlängst das Gegenteil erzählt: daß man in der Aktion jetzt für eine Tat ist, für die starke Hand und ähnliches!»
    «Auch» gab der General zu. «Und einflußreiche Kreise setzen sich halt für die Drangsal ein; so etwas versteht sie ja ausgezeichnet. Man verlangt von der Vaterländischen Aktion eine Handlung der menschlichen Güte.»
    «So?» sagt Ulrich.
    «Ja, Du kümmerst dich eben auch um gar nichts mehr! Anderen Leuten macht das Sorgen. Ich erinnere dich zum Beispiel daran, daß der deutsche Bruderkrieg von Sechsundsechzig daraus entstanden ist, daß sich alle Deutschen im Frankfurter Parlament als Brüder erklärt haben. Natürlich will ich damit nicht im geringsten gesagt haben, daß vielleicht der Kriegsminister oder der Generalstabschef diese Sorgen hat; das wäre ein Unsinn von mir. Aber es kommt halt so eins zum andern: So ist es! Verstehst du mich?»
    Das war nicht klar, aber es war richtig. Und dem fügte der General etwas sehr Weises hinzu. «Schau, du verlangst immer Klarheit» hielt er seinem Nachbarn vor. «Ich bewundere dich ja dafür, aber du mußt auch einmal geschichtlich denken: Wie sollen denn die an einem Ereignis unmittelbar Beteiligten im voraus wissen, ob es ein großes wird? Doch höchstens, weil sie sich einbilden, daß es eines ist! Wenn ich also paradox sein darf, möchte ich behaupten, daß die Weltgeschichte früher geschrieben wird, als sie geschieht; sie ist zuerst immer so eine Art Tratsch. Und da stehen die energischen Menschen eben vor einer sehr schwierigen Aufgabe.»
    «Da hast du recht» lobte Ulrich. «Und jetzt erzähl mir doch alles!»
    Aber der General wurde, obwohl er selbst davon zu sprechen wünschte, in diesen überlasteten Augenblicken, als die Pferdehufe schon weichen Straßengrund zu treten begannen, plötzlich wieder von anderen Sorgen ergriffen: «Ich bin doch für den Minister, falls er mich rufen läßt, schon angezogen wie ein Christbaum» rief er aus und unterstrich es, indem er auf seinen hellblauen Waffenrock und die daran hängenden Orden hinwies: «Meinst du nicht, daß es zu peinlichen Zwischenfällen führen kann, wenn ich mich so in Uniform den Narren zeige? Was mach ich zum Beispiel, wenn einer meinen Rock beleidigt? Da kann ich doch nicht den Säbel ziehn, und zu schweigen ist für mich auch höchst gefährlich!?»
    Ulrich beruhigte seinen Freund, indem er ihm in Aussicht stellte, daß er über der Uniform einen weißen Arztkittel tragen werde; aber ehe sich Stumm noch von dieser Lösung zufriedengestellt erklärt hatte, begegnete ihnen Clarisse in großer Sommerkleidung, die ihnen, von Siegmund begleitet, ungeduldig auf dem

Weitere Kostenlose Bücher