Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
und wurden rechtzeitig erneuert, wenn sie Schaden nahmen. Aber die Glühbirne hatte die geringste Lichtstärke, bei der man gerade noch etwas wahrnehmen kann; der Kleiderrechen hatte bloß drei Haken; der Spiegel faßte bloß vier Fünftel eines Erwachsenengesichts; und die Dicke wie die Güte des Teppichs waren gerade so groß, daß man noch den Fußboden hindurchspürte und nicht in Weichheit versank: Mag es übrigens vergeblich sein; durch solche Einzelheiten den Geist der Örtlichkeit zu beschreiben, so brauchte man doch bloß einzutreten und empfand ihn im ganzen als etwas eigentümlich Anwehendes, das nicht streng und nicht lässig, nicht wohlhabend und nicht arm, nicht würzig und nicht geschmacklos, sondern eben etwas so bejahend aus zwei Verneinungen Hervorgehendes war, wie es sich am besten durch das Wort: Mangel an Verschwendung ausdrücken läßt. Das schloß aber, wenn man die inneren Räume betrat, ein Gefühl für Schönheit, ja sogar das des Behagens keineswegs aus, die sich allenthalben bemerken ließen. An den Wänden hingen gerahmte Prachtstiche, das Fenster neben Lindners Schreibtisch war durch ein buntes Schaustück aus Glas geziert, das einen Ritter darstellte, der mit spröder Bewegung eine Jungfrau von einem Drachen befreite, und in der Wahl einiger bemalter Vasen, die schöne Papierblumen enthielten, in der Anschaffung eines Aschenbechers durch den Nichtraucher, sowie in den vielen Kleinigkeiten, durch die gleichsam ein Sonnenstrahl in den ernsten Pflichtkreis fällt, den die Erhaltung und Betreuung eines Hauswesens darstellt, hatte Lindner gerne einen freien Geschmack walten lassen. Immerhin drang überall die zwölfkantige Strenge der Zimmerform gerade noch durch alles hindurch wie eine Erinnerung an die Härte des Lebens, deren man auch in der Annehmlichkeit nicht vergessen soll; und selbst dort, wo, aus vergangenen Zeiten herrührend, noch etwas weiblich Undiszipliniertes, ein Kreuzstichdeckchen, ein Polster mit Rosen oder ein Unterröckchen von Lampenschirm, diese Einheitlichkeit durchbrach, war sie stark genug, das schwelgerische Element daran zu hindern, daß es ganz aus ihrem Rahmen falle.
    Trotzdem war Lindner an diesem Tag, und nicht zum erstenmal seit dem gestrigen Tage, beinahe um eine Viertelstunde zu spät zur Mahlzeit erschienen. Der Tisch war gedeckt; die Teller, je drei vor jedem der beiden Plätze aufeinandergestellt, sahen ihn mit dem runden Blick des Vorwurfs an; die Messerbänkchen aus Glas, auf denen Messer, Löffel und Gabel wie Kanonenrohre von der Lafette starrten, und die eingerollten Servietten in ihren Ringen waren aufmarschiert wie eine Armee, die ihr General im Stich gelassen hat. Lindner hatte flüchtig die Post zu sich gesteckt, die er sonst vor dem Essen zu öffnen pflegte, war schlechten Gewissens ins Speisezimmer geeilt und wußte nun in seiner Befangenheit nicht, was ihm dort eigentlich zustieß – es mochte wohl etwas Ähnliches wie Mißtrauen sein, da im gleichen Augenblick von der anderen Seite, und ebenso eilig wie er, sein Sohn Peter eintrat, als hätte er bloß auf den Vater gewartet.
    [◁]
43
    Der Tugut und der Tunichtgut Aber auch Agathe
    Peter war ein recht beträchtlicher, ungefähr siebzehnjähriger Bursche, in dem sich die abschüssige Größe Lindners mit einer breiteren Körperlichkeit durchdrungen und verkürzt hatte; er reichte seinem Vater nur an die Schultern, aber sein Kopf, der einer eckig-runden großen Kegelkugel glich, saß auf einem Nacken von strammem Fleisch, dessen Umfang für einen Oberschenkel von Papa ausgereicht hätte. Peter hatte statt in der Schule auf einem Fußballplatz geweilt und unseligerweise am Heimweg ein Mädchen angesprochen, dem seine männliche Schönheit das halbe Versprechen eines Wiedersehens abrang: dadurch in Verspätung, hatte er sich heimlich in die Wohnung und an die Tür des Speisezimmers geschlichen, unschlüssig bis zum letzten Augenblick, wie er sich ausreden werde, hatte aber zu seiner Überraschung niemand im Zimmer gehört, war hineingestürzt, und gerade im Begriff, die gelangweilte Miene langen Wartens aufzusetzen, wurde er jetzt sehr verlegen, als er mit seinem Vater zusammenprallte. Sein rotes Gesicht überzog sich mit noch röteren Flecken, er ließ augenblicklich einen großen Wortschwall los und schielte seinen Vater ängstlich an, wenn er glaubte, daß dieser es nicht bemerke, wogegen er sein Auge furchtlos in das väterliche springen ließ, wenn er es auf sich gerichtet fühlte. Das war

Weitere Kostenlose Bücher