Gesammelte Werke
ein wohlberechnetes und oft erprobtes Verhalten, das die Aufgabe erfüllte, den Eindruck eines bis zur Unklugheit offenen und unbeherrschten jungen Mannes zu erwecken, der alles imstande sein könnte, bloß das eine nicht, etwas zu verbergen. Aber wenn das nicht genügte, so schreckte Peter auch nicht davor zurück, sich scheinbar versehentlich unehrerbietige oder andre seinem Vater mißliebige Worte entschlüpfen zu lassen, die dann wie Spitzen wirkten, die den Blitz anzogen und von gefährlicheren Bahnen ablenkten. Denn Peter fürchtete seinen Vater wie die Hölle den Himmel, mit dem Ehrgefühl des schmorenden Fleisches, auf das der Geist hinabblickt. Er liebte das Fußballspiel, und selbst dabei liebte er es mehr, mit sachkundiger Miene zuzusehn und gewichtige Urteile zu fällen, als sich selbst anzustrengen. Er hatte vor, Flieger zu werden und eines Tags Heldentaten zu vollbringen; er stellte es sich aber nicht als ein Ziel vor, für das man arbeiten müsse, sondern als eine persönliche Anlage, wie eben Wesen, zu denen das gehört, eines Tags fliegen können. Auch daß seine Abneigung zu arbeiten im Widerspruch zu den Lehren der Schule stehe, beeinflußte ihn nicht: Dieser Sohn eines anerkannten Pädagogen legte überhaupt keinen Wert darauf, von seinen Lehrern geachtet zu werden; es genügte ihm, körperlich der Stärkste in seiner Klasse zu sein, und wenn ihm ein Mitschüler zu gescheit vorkam, so war er bereit, durch einen Fausthieb gegen Nase oder Magen das Verhältnis wieder erträglich zu gestalten. Bekanntlich kann man auch auf diese Weise ein geachtetes Dasein führen, und sein Verfahren hatte bloß den einen Nachteil, daß er es zu Hause gegen seinen Vater nicht anwenden konnte, ja daß dieser davon möglichst wenig erfahren durfte. Denn vor dieser geistigen Autorität, die ihn erzogen hatte und sanft umklammert hielt, brach Peters Ungestüm zu jammernden Versuchen der Auflehnung zusammen, die Lindner senior das klägliche Geschrei der Begierden nannte. Von klein auf mit den besten Grundsätzen vertraut gemacht, hatte es Peter schwer, sich ihrer Wahrheit zu verschließen, und vermochte seiner Ehre und Wehrhaftigkeit nur durch einen indianischen Gebrauch von Kriegslisten genugzutun, die den offenen Wortkampf mieden. Zwar bediente er sich, um sich seinem Gegner anzupassen, auch vieler Worte, doch ließ er sich dabei niemals zu dem Bedürfnis herab, die Wahrheit zu reden, was nach seiner Auffassung unmännlich und geschwätzig war.
So sprudelten auch dieses Mal sogleich seine Beteuerungen und Grimassen, fanden aber keine Gegenwirkung auf Seiten des Meisters. Professor Lindner hatte eiligst das Kreuz über der Suppe geschlagen und aß ernst, schweigend und hastig. Nur zuweilen ruhte sein Auge kurz und ohne Sammlung auf dem Scheitel seines Sohnes. Dieser Scheitel war an diesem Tag mit Kamm, Wasser und viel Pomade durch das dicke, braunrote Haar gezogen wie eine Schmalspurbahn durch unwillig ausweichendes Walddickicht. Fühlte Peter den Blick seines Vaters darauf ruhn, so senkte er den Kopf, um mit dem Kinn die rote, schreiend schöne Krawatte zu verdecken, die sein Erzieher noch nicht kannte. Denn einen Augenblick später konnte sich der Blick sanft an einer solchen Entdeckung erweitern und der Mund ihm folgen, und Worte hervorbringen von der «Unterwerfung unter die Parolen von Hanswursten und Laffen» oder von «sozialer Gefallsucht und knechtischer Eitelkeit», die Peter kränkten. Diesmal geschah aber nichts, und erst nach einer Weile, während die Teller gewechselt wurden, sagte Lindner gütig und unbestimmt – es war nicht einmal sicher, ob er die Krawatte meine oder nur von einem unbewußt aufgenommenen Anblick zu seinem Mahnwort bestimmt werde: «Menschen, die noch sehr mit ihrer Eitelkeit zu kämpfen haben, sollten in ihrer äußeren Erscheinung alles Auffallende meiden ...!»
Peter benutzte diese unerwartete Charakterabwesenheit seines Vaters, um eine Geschichte von einem Ungenügend vorzubringen, das er aus Ritterlichkeit erhalten haben wollte, weil er, nach einem Kameraden geprüft, sich mit Absicht unvorbereitet gezeigt habe, um diesen, angesichts unerhörter Anforderungen, die für Schwächere einfach unerfüllbar seien, nicht in den Schatten zu stellen.
Professor Lindner schüttelte bloß den Kopf dazu.
Aber als der Mittelgang abgetragen wurde und die Nachspeise auf den Tisch kam, begann er nachdenklich und behutsam: «Sieh, gerade in den Jahren des größten Appetits kann man die
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