Gesammelte Werke
für richtig gehalten habe zu arbeiten, wenn man ebenso gut die frischen Blumen riechen könnte. Es bleibt eine Einseitigkeit; es geht gegen die Pflicht zur Vollständigkeit!»
Da er eine kurze Pause machte, warf Clarisse einen kleinen Zapfen, der ihr in die Hand geraten war, mehrmals hoch und fing ihn wieder auf.
«Ich weiß natürlich auch, was man dagegen sagen könnte!» versicherte Walter.
Clarisse ließ den Zapfen zu Boden fallen und fragte lebhaft: «Du wirst also doch wieder zu arbeiten beginnen? Man braucht heute eine Kunst mit so großen Pinselstrichen und Tonsprüngen!» Sie machte eine Armbewegung von einem Meter Spanne.
«Ich brauche damit ja nicht gleich anzufangen» wandte Walter ein. «Überhaupt ist mir diese ganze Problematik des Einzelkünstlers noch verdächtig. Wir brauchen heute eine Problematik der Gesamtheit —» Kaum hatte er aber das Wort «Problematik» ausgesprochen, kam ihm das in der Stille des Waldes ganz überreizt vor. Er fügte darum etwas Neues hinzu: «Im Grunde ist es aber überhaupt eine lebenswidrige Forderung, daß ein Mensch etwas, das er liebt, malen soll; im Falle des Landschaftsmalers die Natur!»
«Aber ein Maler malt doch auch seine Geliebte» warf Clarisse ein. «Teils liebt ein Maler, teils malt er!»
Walter sah seinen schönen letzten Gedanken zusammenschrumpfen. Er war nicht gelaunt, ihm neuen Atem einzuhauchen; immerhin blieb er überzeugt, daß der Gedanke bedeutend gewesen sei und bloß der aufmerksamen Bearbeitung bedurft hätte. Und Finkenschlag, Klopfen des Spechts, Summen der kleinen Kerbtiere: es zog nicht zur Arbeit, sondern eher hinab in eine unendliche Tiefe der Trägheit.
«Wir sind einander ja doch sehr ähnlich, du und ich,» sagte er genußvoll «wie nicht bald ein zweites Paar! Andere malen, musizieren oder schreiben, und ich verweigere es mir: es ist im Grunde ebenso radikal wie dein Eifer!»
Clarisse drehte sich auf die Seite, stützte den Ellbogen auf und öffnete den Mund zu einer wütenden Entgegnung. «Ich werde dich schon noch ganz befrein!» sagte sie rasch.
Walter blickte zärtlich zu ihr hinab. «Was meinst du eigentlich, wenn du sagst, daß wir von unserer Sündengestalt erlöst werden müßten?» fragte er sie begierig. 204
Clarisse antwortete diesmal nicht. Sie hatte den Eindruck, wenn sie jetzt spräche, ginge es zu schnell auf und davon, und obwohl sie die Absicht hatte zu sprechen, fühlte sie sich durch den Wald verwirrt; denn der Wald war auf ihrer Seite, so etwas läßt sich nicht recht ausdrücken, wohl aber deutlich bemerken.
Walter bohrte in der süßen Wunde herum. «Hast du mit Meingast wirklich wieder darüber gesprochen?» fragte er ansinnend, aber doch zögernd, ja geängstigt davon, daß sie es getan haben könnte, obwohl er es ihr verboten hätte.
Clarisse log, denn sie schüttelte den Kopf; aber sie lächelte dazu.
«Kannst du dich noch an die Zeit erinnern, als wir Meingasts ‹Sünden› auf uns genommen haben?» forschte er weiter. Er nahm ihre Hand. Clarisse ließ ihm aber nur einen Finger. Es ist ein merkwürdiger Zustand, wenn sich ein Mann ebenso widerstrebend wie bereitwillig selbst daran erinnern muß, daß beinahe alles, was seine Geliebte ihm schenkt, schon vorher einem andern gehört hat; es ist vielleicht das Zeichen einer allzustarken Liebe, vielleicht das einer schwächlichen Seele, und Walter suchte manchmal geradezu diesen Zustand. Er liebte die fünfzehn- bis siebzehnjährige Clarisse, die niemals ganz und restlos von ihm eingenommen war, beinahe mehr als die gegenwärtige, und die Erinnerung an ihre Zärtlichkeiten, die vielleicht der Widerschein von Meingasts Unanständigkeit gewesen waren, erregte ihn eigentümlich tiefer als die im Vergleich damit kühle Unangefochtenheit der Ehe. Es war ihm beinahe angenehm zu wissen, daß Clarisse für Ulrich und vollends nun wieder für den großartig veränderten Meingast gern einen Seitenblick übrig hatte, und die Art, wie diese Männer ungünstig auf ihre Phantasie wirkten, vergrößerte sein Verlangen nach seiner Frau so, wie die Schatten von Ausschweifung und Lust unter einem Auge dieses größer erscheinen lassen. Gewiß, Männer, in denen die Eifersucht nichts anderes neben sich duldet, Vollmänner, werden das nicht erleben; aber seine Eifersucht war voll Liebe, und wenn das so ist, dann wird die Qual so genau, so deutlich, so lebendig, daß sie beinahe eine miterlebte Lust ist. Wenn sich Walter seine Frau in der Hingabe an einen anderen
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