Gesammelte Werke
Zugeständnis an diese Gewohnheit. Und schon aus diesen Gründen ist es schier unvermeidlich, daß uns die innere Gefühlsentfaltung gewöhnlich bloß als ein Anbau der äußeren erscheint, ja als deren Wiederholung und Trübung, die sich von ihr durch weniger scharfe Formen und verwischtere Zusammenhänge unterscheidet und so eben den ein wenig vernachlässigten Eindruck eines Nebengeschehens hervorruft.
Nun steht da aber natürlich nicht bloß eine Ausdrucksweise auf dem Spiel oder ein gedanklicher Vorgang, sondern es ist das, was wir «in Wirklichkeit» fühlen, selbst hundertfältig von der Wirklichkeit abhängig, und also auch von der bestimmten und äußeren Entfaltung des Gefühls, der sich die innere und unbestimmte unterordnet, ja, von der sie gleichsam aufgesogen wird. «Auf die Einzelheiten soll es nicht ankommen,» nahm sich Ulrich vor «aber es ließe sich wohl auch an jeder von ihnen zeigen, daß nicht nur der Begriff, den wir uns von unseren Gefühlen machen, die Aufgabe hat, deren ‹subjektives› Teil dienlich den Vorstellungen einzugliedern, die wir von der Wirklichkeit haben, sondern daß auch im Fühlen selbst die beiden Anlagen zu einem Gesamtvorgang verschmolzen sind, der auf sehr ungleiche Weise die Entfaltung nach außen und die nach innen verbindet. Mit einfachen Worten: wir sind handelnde Wesen; wir bedürfen der Sicherheit des Denkens für unser Handeln; wir bedürfen also auch eines der Neutralisation fähigen Gefühls – und unser Fühlen hat seine besondere Gestalt dadurch angenommen, daß wir es in das Bild der Wirklichkeit einordnen, und nicht das Umgekehrte, das Ekstatische tun. Eben deshalb muß in uns aber auch die Möglichkeit liegen, unser Fühlen umzukehren und unsere Welt anders zu erleben!»
Er war jetzt ungeduldig zu schreiben, und fühlte sich sicher, daß diese Gedanken auch einer ausführlichen Prüfung standhalten müßten. Auf seinem Zimmer angelangt, machte er Licht, weil die Wände schon im Schatten lagen. Von Agathe war nichts zu hören. Einen Augenblick zauderte er, ehe er begann.
Es hemmte ihn, daß er sich entsann, in der abkürzenden Ungeduld des Planes und Entwerfens die Begriffe «Innen» und «Außen», und wohl auch die Begriffe «Person» und «Welt», zuletzt so gebraucht zu haben, als ob die Unterscheidung zwischen den beiden Wirksamkeiten des Gefühls mit diesen Vorstellungen übereinfiele. Dem war natürlich nicht so. Die eigenartige Unterscheidung zwischen der Anlage und Ausgestaltungsmöglichkeit zum bestimmten oder unbestimmten Gefühl, die von Ulrich gemacht wurde, durchschneidet, wenn man sie gelten läßt, die anderen Unterschiede. Sowohl nach außen und in die Welt als auch nach innen und in die Person entfaltet sich das Gefühl auf die eine und andere Art. Er sann über ein rechtes Wort dafür nach, denn die Worte «bestimmt» und «unbestimmt» gefielen ihm nicht sehr, obwohl sie bezeichnend waren. «Der ursprüngliche Erfahrungsunterschied liegt am nacktesten und doch am ausdrucksvollsten darin, daß es sowohl eine Äußerung des Gefühls als auch eine Innerlichkeit nach außen und innen gibt!» überlegte er und war im Augenblick zufrieden, ehe er auch diese Worte ebenso ungenügend fand wie alle anderen, von denen er noch ein Dutzend ausprobte. An seiner Überzeugung änderte das aber nichts mehr, es erschien ihm nur noch als eine Mühe bei der ihm bevorstehenden Ausführung, davon hervorgerufen, daß die Sprache nicht für diese Seite des Daseins geschaffen ist. «Wenn ich alles noch einmal prüfe und richtig finde, soll es mir nichts ausmachen, am Ende bloß immer von unserem gewöhnlichen Gefühl und unserem ‹anderen› zu reden!» beschloß er.
Er holte lächelnd ein Buch von der Wand, worin sich ein Lesezeichen befand, und setzte vor seine eignen Worte die folgenden fremden: «Wenn auch der Himmel, ebenso wie die Welt, einer Folge wechselnder Ereignisse unterworfen ist, so fehlt doch den Engeln jeder Begriff und jede Vorstellung von Raum und Zeit. Obwohl sich auch bei ihnen alle Vorgänge nacheinander abspielen, in völliger Übereinstimmung mit der Welt, wissen sie nicht, was Zeit bedeutet, weil im Himmel weder Jahre noch Tage, sondern Zustandsänderungen herrschen. Wo Jahre und Tage sind, herrschen Zeiten, wo Zustandsänderungen sind, Zustände. Da die Engel keine Vorstellung von der Zeit haben, wie die Menschen, so fehlt ihnen auch die Bestimmung der Zeit; sie kennen nicht einmal ihre Einteilung in Jahre, Monate, Wochen,
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