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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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(niedrige) Person gewesen, erklärte sie gelassen.
    Ulrich: Ja. Aber mein Gefühl hat mir Erlebnisse vor Augen gezaubert, die wie ein Wald von großen Blüten gewesen sind; ich habe diese Blüten berühren können, so oft ich wollte, aber niemals auseinanderbiegen, um mich zwischen ihnen aufzuhalten!
    (Wie eine aus Nässe in Sand führende Spur rasch auftrocknet:) Überdies, das gewöhnliche Leben, das kraftvoll und tätig dahinstreicht, säumt nicht bei Überlegungen. Man fühlt, um zu handeln; und über ein solches allerwegen benutztes Verkehrs- und Fortbewegungsmittel denkt niemand nach. Es mißachtet darum auch alle Gefühle, die nicht nach Maß-Art durchschnittlich und vorgeschrieben sind – oder beugt sich den sehr starken –, und seine Gefühle zu «zerfasern» gilt im Leben als schwächlich. Spricht man aber von seinem Gefühl, was trotzdem sehr oft geschieht, so spricht man es «aus»; man spricht fühlend davon, man sagt (aus), was und wie man fühlt, also daß die auf die Gefühle selbst gerichtete Aufmerksamkeit, die geistige Beobachtung, die psychologische Neugierde auch dann nicht zur Entfaltung kommen, und wo immer sie sich einstellen, eigentlich schon eine Störung des natürlichen Fühlens anzeigen. Das gilt aber nicht für ungewöhnliche Fälle. (Da könnte Agathe erinnern, — und holt es wahrscheinlich später nach – der Liebende darf die Liebe nicht verlassen und ähnliches).
    Agathe: Ich habe dir nichts von Lindner erzählt, weil es gleichgültig ist. Oder weil ich wußte, daß es einmal ganz gleichgültig sein wird. Du bist stärker als ich; ich bin stärker als er. Es sind Geschehnisse in einem Liliputaner-Reich.
    Eventuell dazwischen Ulrich: Du wirst nicht mehr hingehen?
    [Agathe:] Kannst du dir nicht vorstellen, daß man aus Kleinmut davonläuft? Kannst du dir nicht vorstellen, daß ich dann stärker (mutiger) zurückkehre?
    Ulrich: Gehst du nicht auch hin, weil er nicht bloß so wie ich in Klammern und Nebensätzen von Gott spricht und von der Teilnahme aneinander in Gott?
    (Agathe müßte jetzt zum Tagebuch einlenken:) Erkläre mir lieber deine Gedanken, Ich habe den Eindruck: darin ist alles enthalten. Warum haben wir so lange hin und her gesprochen? Nun ist alles in Ordnung. Bloß verstehe ich es nicht ganz. Ich habe mir zum Beispiel immer gedacht, das Wichtigste an einer Ekstase sei, daß man seine Seele aufgibt, seine gewöhnliche Seele. Aber gerät man in eine andere Welt? Oder ist man bloß sehr verliebt? Stirbt man für die Außenwelt ab? Oder ist man bloß ganz begeistert? Genügt es, daß alle Überlegung aufhört? Nein, es ist besser, du erklärst dich mir!
    [◁]
79
    Unterhaltungen mit Schmeißer
    [Entwurf]
    Daß Graf Leinsdorf die Absicht äußerte, ein Realpolitiker müsse sich sogar der Sozialdemokratie bedienen, um in ihr einen Verbündeten gegen den Fortschritt wie gegen den Nationalismus zu finden, geschah nicht zum erstenmal, denn er hatte Ulrich schon wiederholt gebeten, diese Beziehungen zu pflegen, bei denen er sich in eigener Person aus politischen Gründen vorderhand nicht betreten lassen wollte. Darum hatte er auch selbst den Rat erteilt, anfangs nicht an die führenden, sondern lieber an jüngere Persönlichkeiten heranzutreten, die durch ihre Tatkraft und noch nicht vollendete Verdorbenheit hoffen ließen, daß man durch sie einen patriotisch verjüngenden Einfluß auf die Partei gewinne. Da hatte sich Ulrich bei guter Laune daran erinnert, daß in seinem Haus ein junger Mann wohne, der ihn nicht grüßte, sondern verstockt wegsah, wenn er ihm begegnete, was allerdings selten genug geschah. Das war der Kandidat der Technischen Wissenschaften Schmeißer, und sein Vater war ein Gärtner, der schon auf dem Grundstück gewohnt hatte, als Ulrich dieses übernahm, und der seither als Entgelt für freies Quartier und gelegentliche Zuwendungen den kleinen alten Park teils mit eigener Hand in Ordnung hielt, teils in der Weise, daß er die notwendig werdenden Arbeiten angab und überwachte. Ulrich billigte es, daß ihn der junge Mann, der bei seinem Vater lebte und sein Studiengeld durch Stundengeben und kleine literarische Leistungen erwarb, als einen reichen Müßiggänger ansah, dem man Geringschätzung zu erweisen habe; das Experiment der Untätigkeit, dem er unterworfen war, versetzte ihn manchmal vor sich selbst in diesen Anschein, und es bereitete ihm Vergnügen, seinen Tadler herauszufordern, als er ihn eines Tages ansprach. Es zeigte sich dabei, daß auch der

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