Gesammelte Werke
Stunden, in morgen, gestern und heute. Hören sie einen Menschen davon reden – und Gott hat ständig den Menschen Engel zugesellt –, dann verstehen sie darunter Zustände und Zustandsbestimmungen. Der Mensch denkt aus der Zeit, der Engel aus dem Zustand; so wird die natürliche Vorstellung der Menschen bei den Engeln zu einer geistigen. Alle Bewegungsvorgänge in der geistigen Welt geschehen durch innere Zustandsänderungen. Als ich darüber in Besorgnis geriet, wurde ich in die Sphäre des Himmels zum Bewußtsein der Engel erhoben und von Gott durch die Reiche des Himmels geführt und zu den großen Gestirnen des Weltalls geleitet, und zwar im Geiste, während mein Körper an derselben Stelle blieb. Alle Engel bewegen sich so von Ort zu Ort, deshalb gibt es für sie keine Abstände, folglich auch keine Entfernungen, sondern nur Zustände und Zustandsänderungen. Jede Annäherung ist eine Ähnlichkeit innerer Zustände, jede Entfernung eine Verschiedenheit; Räume im Himmel sind nichts als äußere Zustände, die den inneren entsprechen. Jeder wird in der geistigen Welt dem anderen sichtbar erscheinen, sobald er ein dringendes Verlangen nach dessen Gegenwart hat, denn dann versetzt er sich in seinen Zustand; umgekehrt wird er sich bei vorhandener Abneigung von ihm entfernen. Ebenso kommt jemand, der in seiner Gemeinschaft, in Hallen oder Gärten, seinen Aufenthalt wechselt, schneller dorthin, wenn er sich danach sehnt, und langsamer, wenn seine Sehnsucht geringer ist; das habe ich oft staunend gesehen. Und da die Engel sich keinen Begriff von der Zeit machen können, so haben sie auch eine andere Vorstellung von der Ewigkeit als die irdischen Menschen; sie verstehen darunter einen unendlichen Zustand, nicht eine unendliche Zeit.»
Ulrich hatte das einige Tage zuvor durch Zufall beim Blättern in einer Auswahlausgabe von Swedenborg aufgefunden, die er besaß, aber noch nie recht gelesen hatte; und hatte es ein wenig zusammengedrängt und so viel davon abgeschrieben, weil es ihm sehr angenehm war, diesen alten Metaphysikus und gelehrten Ingenieur – von dem übrigens Goethe, ja sogar Kant keinen geringen Eindruck empfangen hatte – so sicher vom Himmel und den Engeln reden zu hören, als wären es Stockholm und seine Bewohner. Es paßte so gut zu seiner eigenen Beschäftigung, daß sich die verbleibende, und ja auch nicht geringe, Verschiedenheit unheimlich deutlich davon abhob. Es machte ihm große Lust, an ihr festzuhalten und die in ihrer verfrühten Selbstgewißheit zwar trocken-unträumerisch, doch aber schrullig wirkenden Behauptungen eines Geistersehers aus den vorsichtiger gefaßten Begriffen eines späteren Jahrhunderts auf neue Art hervorzuzaubern.
Und so schrieb er nieder, was er gedacht hatte.
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78
Nachtgespräch
[Entwurf und Studie]
Er hatte im Zimmer ein Licht nach dem anderen angezündet, als sollten in dem erregenden Überfluß der Strahlen die Worte leichter fallen, und hatte lange Zeit eifrig geschrieben. Aber nachdem das Wichtigste geschehen war, bemächtigte sich seiner das Gefühl, daß Agathe noch nicht zurückgekehrt sei, und wurde immer störender. Ulrich wußte nicht, daß sie bei Lindner war, und überhaupt nichts von diesen Besuchen; aber da dieses Geheimnis und sein Tagebuch das einzige war, was sie vor einander verbargen, konnte er mutmaßen und fast auch verstehen, was sie tat. Er nahm es nicht ernster als nötig und war eher erstaunt darüber als eifersüchtig; auch schrieb er sich und seiner eigenen Unentschlossenheit die Schuld zu, wofern sie eigene Wege ging, die er nicht billigen mochte. Trotzdem hemmte es ihn immer mehr und verminderte die zwischen den Gedanken webende Glaubensbereitschaft, daß er in dieser Stunde der Sammlung nicht einmal wisse, wo sie sei und warum sie sich verspäte. Er beschloß, sich zu unterbrechen und auch auszugehen, um sich dem entnervenden Einfluß des Wartens zu entziehen, wollte die Arbeit aber bald wieder aufnehmen. Als er das Haus verließ, fiel ihm ein, daß es ihn nicht nur am kräftigsten ablenken könnte, wenn er ein Theater aufsuchte, sondern sogar anregen müßte; und so tat er das, obwohl er nicht dafür angekleidet war. Er wählte einen unauffälligen Platz und empfand im Anfang recht stark das Vergnügen, mitten in eine Vorstellung einzutreten, die schon lebhaft im Gange ist. Es rechtfertigte, daß er gekommen war, denn dieses lebhafte Widerspiegeln hundertfältig bekannter Gefühle, von dem das Theater unter dem Vorwand zu
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