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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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leben pflegt, daß es ihm einen Sinn gebe, erinnerte Ulrich an den Wert der zu Hause zurückgelassenen Aufgabe und erneute den Wunsch, den Weg zu beenden, der, von den Ursprüngen der Gefühle ausgehend, schließlich zu ihrem Sinn führen mußte. Als er wieder sein Bewußtsein den Vorgängen auf der Bühne erschloß, fiel ihm ein, daß die meisten der Schauspieler, die sich dort oben so schön wie bedeutungslos mit der Nachbildung von Leidenschaften beschäftigten, den Titel von Hofräten oder Professoren führten, denn Ulrich befand sich im Hoftheater, was dem Ganzen auch noch eine Steigerung zur Staatskomik gab. So verließ er zwar noch vor dem Ende des Stückes das Schauspielhaus, kehrte aber gleichwohl in erfrischter Laune heim. Wieder setzte er sein Zimmer ganz unter Licht, und es bereitete ihm Vergnügen, in der durchlässigen Nachtstille seinem eigenen Schreiben zuzuhören. Diesmal hatten ihm allerhand flüchtige, ja kaum mit Bewußtsein aufgenommene Anzeichen bei Betreten des Hauses gesagt, daß Agathe wieder zurückgekehrt sei; aber als er sich nachträglich darauf besann und alles lautlos war, fürchtete er sich nachzusehen. So wurde es spät in der Nacht. Er war noch einmal im Garten gewesen, der völlig im Dunkel lag, so ungastlich, ja tödlich feindlich wie eine schwarze Wassertiefe; er hatte sich trotzdem bis zu einer Bank durchgetastet und ziemlich lange ausgeharrt. Es war schwer, auch unter diesen Umständen daran zu glauben, daß es wichtig sei, was er schreibe. Aber als er wieder im Licht saß, machte er sich daran, es zu Ende zu schreiben, soweit sein Plan diesmal reichte. Es fehlte nicht mehr viel, doch hatte er kaum damit begonnen, als ihn ein leises Geräusch unterbrach. Denn Agathe, die schon in seinem Zimmer gewesen war, als er sich noch im Theater befand, und diesen heimlichen Besuch während seines Aufenthaltes im Garten wiederholt hatte, war bei seiner Rückkehr hinausgeschlüpft, hatte hinter der Türe eine kleine Weile gezögert und drückte jetzt leise deren Klinke nieder.
    Ich habe gelesen.
    Du hättest es nicht tun dürfen.
    Agathe lacht. (Wie lacht sie eigentlich? Schallend? Nein. Ein angenehmer Klang, von dem man nichts genaues erfährt; aber eine strahlende Ausgelassenheit, die sich in dem stillen Zimmer verbreitet. Doch ist der Ton dunkel, dunkelheiter; wie eine tief gestimmte Silberschelle, mit dunklem Grundton und silbernem, weichem Glanz (einer weichen Heiterkeit) darüber).
    Es ist untreu von dir gewesen, daß du es mir verborgen hast!
    Ulrich: Ich schreibe, weil ich manches besser verstehen möchte.
    Agathe: Aber warum willst nur du, und heimlich, es besser verstehn? Geht es mich nichts an?
    Ulrich: Doch, es geht dich viel an. Aber ... – Warum besuchst du heimlich den Tränenmann Lindner?
    Agathe: Auch, um mich besser zu verstehn. Übrigens weint er Zornestränen.
    Ulrich: Warst du heute bei ihm?
    Agathe: Ja.
    Ulrich: Es gefällt mir nicht von dir.
    Agathe: Ich gefalle mir auch nicht ganz dabei. Aber, was du schreibst gefällt mir; der Anfang und das Ende natürlich; aber auch was dazwischen ist, wenngleich ich es nicht ganz verstanden habe. Ich habe alles gelesen; manches solltest du mir erklären; manches brauchst du mir gar nicht erklären, weil ich es doch nicht verstehen werde; ich habe beschlossen, es dir zu glauben.
    Ulrich hatte noch ihre Frage, warum schreibst du? im Ohr. Ich habe mich (meine Moral – die Mitte meines Lebens oder ähnliches – mein Tun und Lassen) jetzt in einigen Tagen besser verstehn gelernt als vorher in Monaten, wiederholte er. Es ist mir auch klar geworden, um wieviel weiter ich heute bin als vor einem Jahr (als zur Zeit unseres Wiedersehns), wieviel besser ich mich und meinen Willen verstehe ... Ich habe dir nichts davon erzählt, weil ich unbeeinflußt bleiben wollte. (Lachend:) Es hätte ein Verrat sein sollen. Du weißt, daß wir nicht glauben sollen, ehe wir nicht unser bestes Wissen erschöpft haben.
    Agathe: ––––––– tut irgend etwas, das ihr Gesicht von ihm abwendet: Sei mir nicht böse, aber etwas daran ist unheimlich komisch. Du zergliederst sorgfältig die Möglichkeit, deine Hand auszustrecken, nach Natur- und Denkgesetzen. Warum streckst du sie nicht einfach aus?
    Ulrich: Ich kann sie nicht einfach ausstrecken. Erinnerst du dich an die «Geschichte der Frau Major»?
    Agathe nickt.
    Ulrich: Es soll nicht enden wie sie (diese).
    Agathe: (einem nachträglichen Einwand stattgebend:) Die Frau Major ist eine dumme

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