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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Vorzimmer war durcheinandergebracht, wozu freilich nicht viel gehörte, schon etliche Gegenstände, die nicht auf ihrem Platz lagen, machten in diesen Räumen einen verstörten Eindruck. Kaum hatte sich Agathe niedergesetzt, um auf Lindner zu warten, kam Peter durch das Zimmer gestürzt, der von ihrer Ankunft keine Kenntnis hatte. Er machte Miene, alles zu zertrümmern, was er auf seinem Wege finde, und sein Gesicht war aufgeschwemmt, wie wenn rund herum unter der roten Haut Tränen steckten, die sich zu einem Ausbruch sammelten.
    «Peter?» fragte Agathe bestürzt. «Was haben Sie?»
    Er wollte an ihr vorbei, blieb aber plötzlich stehen und streckte ihr mit einem so komischen Ausdruck des Ekels die Zunge entgegen, daß sie lachen mußte.
    Agathe hatte eine Schwäche für Peter. Sie verstand, daß es kein Vergnügen für einen jungen Mann war, Professor Lindner zum Vater zu haben, und wenn sie sich vorstellte, daß Peter sie vielleicht als die zukünftige Frau seines Vaters beargwöhne, so hatte seine feindliche Haltung gegen sie einen geheimen Beifall in ihr. Irgendwie empfand sie ihn als einen feindlichen Verbündeten. Vielleicht nur, weil er sie an ihre eigene Jugend als frommes Institutsmädel erinnerte. Er wurzelte noch nirgends; suchte sich, suchte groß zu werden; wuchs innerlich mit den gleichen Schmerzen und Unregelmäßigkeiten wie äußerlich. Sie verstand es so gut. Was waren Weisheit, Glaube, Wunder und Grundsätze für einen jungen Menschen, der noch ganz verschlossen und noch nicht vom Leben aufgebrochen worden ist, um so etwas aufzunehmen! Sie hatte eine sonderbare Sympathie für ihn; für das Ungeleitete und Widerspenstige, für das Junge und wahrscheinlich einfach auch für das Böse seiner Sinnesart. Sie wäre gern seine Gespielin gewesen, wenigstens hier, in dieser Umgebung hatte sie diesen kindlichen Gedanken und bemerkte traurig, daß er sie gewöhnlich als ein altes Frauenzimmer behandelte.
    «Peter! Peter! Was haben Sie??!» äffte er sie nach. «Er wird es Ihnen ohnehin erzählen. Sie Seelenschwester von ihm!»
    Agathe lachte noch mehr und fing ihn bei der Hand.
    «Das gefällt Ihnen wohl?» fuhr Peter unverschämt auf sie los. «Daß ich heule?! Wie alt sind Sie eigentlich? Gar nicht so viel älter als ich, sollte ich meinen: aber mit Ihnen geht er um wie mit dem erhabenen Platon!»
    Er hatte sich losgemacht und musterte sie nutzsüchtig.
    «Was hat er Ihnen denn eigentlich getan?» fragte Agathe.
    «Was? Bestraft hat er mich! Ich schäme mich gar nicht vor Ihnen, wie Sie sehen. Demnächst wird er mir die Hosen herunterziehen und Sie werden mich halten dürfen!»
    «Peter! Pfui!» mahnte Agathe arglos. «Hat er Sie wirklich geschlagen?»
    «Hat er? Peter? Würde Ihnen das vielleicht gefallen?»
    «Schämen Sie sich doch, Peter!»
    «Gar nicht! Warum sagen Sie nicht Herr Peter zu mir? Überhaupt, was meinen Sie: da!» Er streckte das gespannte Bein aus und umfaßte seinen vom Fußball gekräftigten Oberschenkel. «Überzeugen Sie sich doch lieber; ich könnte ihn ja mit einer Hand erschlagen, er hat in beiden Beinen nicht einmal so viel Kraft wie ich in einem Arm. Nicht ich, Sie sollten sich schämen, statt mit ihm Weisheit zu schnattern! Wollen Sie nun wissen, was er mir getan hat?»
    «Nein, Peter, so dürfen Sie nicht mit mir sprechen.»
    «Warum denn nicht?»
    «Weil Ihr Vater es gut mit Ihnen meint. Und weil ––––» Aber da kam Agathe nun wirklich nicht recht weiter; das Predigen gelang ihr nicht, obgleich der Junge ja Unrecht hatte, und sie mußte plötzlich wieder lachen. «Was hat er Ihnen also getan?»
    «Das Taschengeld hat er mir entzogen!»
    «Warte!» bat Agathe. Ohne Überlegen suchte sie eine Banknote hervor und reichte sie Peter. Sie wußte selbst nicht, warum sie es tat; vielleicht meinte sie, man müsse zuerst Peters Zorn beseitigen, ehe man auf ihn einwirken könne, vielleicht bereitete es ihr bloß Vergnügen, Lindners Pädagogik zu durchkreuzen. Und mit der gleichen Plötzlichkeit hatte sie zu Peter Du gesagt. Peter sah sie erstaunt an. Im Hintergrund seiner verschlagen schönen Augen erwachte etwas gänzlich Neues. «Das Zweite, was er mir auferlegt hat,» fuhr er zynisch grinsend fort, ohne sich zu bedanken «ist auch schon gebrochen: die Schule der Schweigsamkeit! Kennen Sie die? Durch Schweigen lernt der Mensch, seine Rede allen inneren und äußeren Reizungen zu entziehn und zur Dienerin seiner innersten Selbstbesinnung zu machen!»
    «Sie haben sicher

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