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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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hinausgeflogen?»
    «Oh!» sagte Rachel und war keineswegs entschlossen die Wahrheit zu sagen. «Wissen Sie, der Herr in diesem Haus ist ein sehr hoher Diplomat, und da war eine Geschichte mit einem Mohrenprinzen –»
    «Du bist wohl schwanger?» fragte Moosbrugger mißtrauisch.
    «Pfui!» rief Rachel empört. «Sie erlauben sich zu viel, wenn Sie so zu mir sprechen! Hätte die Dame Sie mir anvertraut?!»
    Sie gefiel Moosbrugger ganz entschieden. Sie war etwas Besseres, das konnte man hören und sehn. Wenn er die Weiber überlegte, die er kannte: etwas so Feines hatte er noch nie gehabt. «Na, schon gut» meinte er. «Ich habe dich nicht beleidigen wollen. Und die Geschichte mit den Maurern, die war so: –»
    Er erzählte sie ihr umständlich und würdevoll, samt allen Ränken und Bestechungen, denen ein Mann wie er bei Gericht begegnet, und weil sie eine Bekanntschaft mit einem Mohrenfürsten erwähnt hatte, so wollte er nicht zurückstehn und erzählte auch noch seinen Marsch nach Konstantinopel.
    «Da haben die Türken mehrere Frauen?» fragte Rachel.
    «Nur die reichen. Aber darum taugen die Türken auch nichts» gab Moosbrugger mit galantem Lächeln zur Antwort. «Schon von einer Frau wird ja der Mann ruiniert!»
    «Haben Sie schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht?» fragte Rachel, während ihr Blut Kreise schlug wie der Schweif einer lauernden Katze.
    Moosbrugger sah sie prüfend an und wurde ernst. «Ich habe in meinem ganzen Leben nur schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn ich mein Leben schreiben wollte, würden manchem die Augen aufgehn!»
    «Das sollten Sie tun!» schlug Rachel begeistert vor.
    «Mir ist das Schreiben viel zu unbequem!» sagte Moosbrugger stolz und dehnte seine Schultern aus. «Aber du bist ja ein gebildetes Fräulein. Vielleicht erzähl ich dir noch was. Dann kannst du’s schreiben.»
    «Ich habe noch nie ein Buch geschrieben!» erwiderte Rachel bescheiden; aber zumute war ihr, wie wenn man ihr angeboten hätte, Sektionschef Tuzzis Stelle zu übernehmen. Und dieser Mann vor ihr war kein Schwätzer; der hatte bewiesen, daß er für seine Worte einstehen konnte.
    So verging die Zeit in angeregtem Gespräch, und es wurde zehn Uhr, ohne daß Clarisse kam.
    Moosbrugger zog seine große dicke Nickeluhr aus der Weste und stellte fest, daß es fünf Minuten nach halb elf sei.
    Als sie das nächste Mal nachsahen, war es sieben Minuten vor elf.
    «Sie wird nicht mehr kommen, ich hab mir das gleich gedacht» sagte Moosbrugger.
    «Aber sie muß doch kommen» sagte Rachel.
    Das Gespräch wurde wortkarg. Sie waren früh erwacht und hatten das Zimmer nicht verlassen, das Eingesperrtsein machte sie müde. Moosbrugger stand auf und dehnte sich. Rachel erklärte sich endlich bereit, etwas zum Essen zu besorgen, ohne länger zu warten. Aber vorher mußte Moosbrugger den grünen Augenschirm aufsetzen und das Holzbein umschnallen, falls in Rachels Abwesenheit ein Fremder in die Wohnung käme; Holzbein und Augenblende waren ein Vermächtnis Clarisses. Es war gar nicht einfach, mit dem an den Schenkel zurückgeklappten und angebundenen Bein, an dessen Knie die Holzstelze saß, durch die Hose zu fahren; Moosbrugger mußte den Arm um Rachels Nacken legen und zog sie bei dieser Gelegenheit ein bißchen an sich.
    Er humpelte über eine Viertelstunde allein in der Wohnung auf und ab, es war ekelhaft langweilig; dann kochte Rachel, aber sie konnte nicht viel kochen, und das Essen war auch nicht gerade lustig. Moosbrugger bekam diese Zurückgezogenheit allmählich satt, aber er sah ein, daß er sie noch lange nicht aufgeben dürfe. Er wollte ein wenig schlafen, damit die Zeit vergehe, gähnte wie ein Löwe und setzte sich auf das Bett, um das verdammte Bein abzuschnallen, das ihm das Blut in den Kopf trieb. Rachel mußte ihm helfen. Und wie er wieder den Arm um ihre Schulter legte, dachte er, daß sie doch eigentlich seine Frau sei für diese Zeit. Sicherlich hatte sie nie etwas anderes von ihm erwartet und sich lustig über ihn gemacht, gestern, als er so ohne weiteres zur Ruhe ging. Als das Holzbein zur Erde fiel, legte er Rachel mit dem Arm, den er um ihre Schulter hatte, zurück aufs Bett und zog sie ein wenig daran hoch, bis ihr Kopf auf ein Kissen zu liegen kam. Rachel wehrte sich nicht. Sein großer Bart senkte sich auf ihren Mund. Aber ihr kleiner Mund kam ihm entgegen. Ging gleichsam in diesen Bart hinein wie in einen Wald und suchte darin den Mund. Als der Mann sich an ihr hinaufschob, kam Rachel beinahe

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