Gesammelte Werke
Geldverdienen!»
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Politisch unverläßlich
Was auch mitbedeutend sein soll
Hans Sepp mußte Marsch-Eins üben, sich in Pfützen auf dem Kasernenhof niederknien, das Gewehr in Anschlag bringen und wieder absetzen, bis ihm die Arme vom Leib fielen. Der Korporal, der ihn peinigte, war ein milchbärtiger Bauernsohn, und Hans sah verständnislos in sein junges wütendes Gesicht, das nicht nur Zorn ausdrückte, was begreiflich gewesen wäre, weil er mit diesem Rekruten nachexerzieren mußte, sondern die ganze Bösartigkeit, deren ein Mensch fähig ist, wenn er sich gehen läßt. Wenn Hans seinen Blick über die Weite des Hofs gleiten ließ – an und für sich hat ein Kasernenhof etwas Unmenschliches, unfrei Regelmäßiges, wie es die tote Welt der Kristalle hat –, so endete er bei hockenden und steif laufenden blauen Figuren, die an alle Mauern gemalt waren, damit man das Gewehr auf sie anschlage; und dieser Weltzweck, beschossen zu werden, drückte sich auch in der abstrakten Art dieser Malereien zum Verzweifeln gut aus. Das war Hans Sepp schon in der ersten Stunde seines Kommens schwer aufs Herz gefallen. Der Mensch hat auf den Bildern, die an die Wände der Kaserne gemalt werden, kein Gesicht, sondern anstelle des Gesichts nur eine helle Fläche. Er hat auch keinen Körper, den der Maler in einer der Stellungen festgehalten hätte, wie sie Tier und Mensch, dem Spiele ihrer Bedürfnisse folgend, von selbst einnehmen, sondern er besteht aus einem mit dunkelblauer Farbe ausgefüllten groben Umriß, der die Stellung eines mit dem Gewehr in der Hand laufenden Mannes oder eines Mannes, der kniet und schießt, für eine Ewigkeit festhält, in der es niemals wieder etwas so Überflüssiges wie persönliche Zeichnung geben wird. Das war keineswegs unvernünftig; der Fachausdruck für diese Figuren hieß «Zielfläche», und wenn der Mensch als Zielfläche betrachtet wird, so sieht er so aus, daran ist nichts zu deuteln. Man könnte daraus schließen, daß man ihn niemals als Zielscheibe betrachten dürfe; aber um Gotteswillen, wenn er gleich so aussieht, sobald man ihn nur so anschaut, ist die Versuchung dazu ungeheuer groß! Hans fühlte sich in der Tat während der Öde des Strafexerzierens immer wieder von der Dämonie dieser Malereien angezogen, als ob er von Teufeln gepeinigt würde; der Korporal schrie ihm zu, daß er nicht umherglotzen dürfe, sondern geradeaus zu schauen habe, er faßte ihn mit solchen Worten geradezu körperlich beim Blick, und wenn der Blick dann geradeaus in das rote Gesicht des Korporals fiel, so sah dieses warm und menschlich aus.
Hans hatte das urzeitliche Gefühl, einem fremden Stamm in die Hände gefallen und zum Sklaven gemacht worden zu sein. Wenn ein Offizier erschien und auf der anderen Seite des Hofes als schlanke Silhouette teilnahmslos vorbeiglitt, kam er Hans Sepp wie einer der unerbittlichen Götter dieses fremden Stammes vor. Er wurde streng und schlecht behandelt. Mit ihm zugleich war ein Dienststück der Zivilbehörden zum Militär gekommen, das ihn als «politisch unverläßlich» bezeichnete, und so nannte man in Kakanien die staatsfeindlichen Individuen. Er wußte nicht, wer und was ihm diesen Leumund eingetragen hatte. Außer seiner Beteiligung an der Demonstration gegen Graf Leinsdorf hatte er niemals etwas gegen den Staat unternommen, und schließlich war Graf Leinsdorf nicht der Staat; Hans Sepp hatte, seit er Student war, nur von der germanischen Volksgemeinschaft gesprochen, von Symbolen und von der Keuschheit. Aber irgendetwas davon mußte der Behörde zu Ohr gekommen sein, und das Ohr der Behörde ist wie ein Klavier, aus dem man von je acht Saiten sieben entfernt hat. Offenbar war seinem Ruf auch nachgeholfen worden, jedenfalls kam er mit dem Ruf zum Militär, ein Feind des Kriegs, des Militärs, der Religion, der Habsburger und des Staates Österreich zu sein, verdächtig der Geheimbündelei und großdeutscher Machenschaften, die «auf den Zweck des Umsturzes der bestehenden Staatsordnung gerichtet» waren.
Mit allen diesen Verbrechen verhielt es sich aber beim Militär in Kakanien so, daß man ihrer den größten Teil aller tüchtigen Reserveoffiziere ohneweiters bezichtigen konnte. Fast jeder Deutsche hatte das natürliche Gefühl, mit den Deutschen im Reich zusammenzugehören und nur durch das Trägheitsvermögen der geschichtlichen Vorgänge vorläufig noch abgetrennt zu sein, und jeder Nichtdeutsche hatte mit den nötigen Änderungen erst recht ein
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