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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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solches gegen Kakanien gerichtetes Gefühl; Patriotismus war in Kakanien, wenn er sich nicht auf Hoflieferanten beschränkte, ausgesprochen eine Oppositionserscheinung, er verriet entweder Widerspruchsgeist oder jene fade Gegnerschaft gegen das Leben, die allezeit etwas Feines und Höheres braucht; abzusehen war da nur von Graf Leinsdorf und seinen Freunden, die das Höhere im Blut hatten. Ebensowenig waren aber auch die aktiven Offiziere frei von den Vorwürfen, die eine unbekannte Behörde gegen Hans Sepp erhob. Sie waren zum großen Teil Deutsche und soweit sie es nicht waren, bewunderten sie das deutsche Heer –, und da die Kakanischen Parlamente nicht halb soviel Soldaten und Kriegsschiffe bewilligten wie der deutsche Reichstag, hatten sie alle das Gefühl, daß an den großdeutschen Hoffnungen nicht alles verwerflich sein könne. Sie waren von Kindheit an dazu erzogen, die Stütze des Patriotismus zu sein, was zur Folge hatte, daß ihnen dieses Wort stille Übelkeit erregte. Sie waren endlich gewohnt, am Fronleichnamstag ihre Soldaten zur Prozession zu führen und die Rekruten am Kasernenhof «Kniet nieder zum Gebet» üben zu lassen, aber unter sich nannten sie den Regimentsgeistlichen Kommischristus und für ihren braven, aber etwas beleibten Feldbischof hatten diese Heiden den Armeenamen Die Himmelskugel aufgebracht.
    Ganz unter sich nahmen sie es nicht einmal übel, wenn jemand ein Feind des Militärs war, denn die meisten von ihnen waren es in längerer Dienstzeit selbst geworden, und sogar Pazifisten hat es im Kriegerstand von Kakanien gegeben. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß nicht alle später im Krieg genau so ihre Schuldigkeit mit Begeisterung getan hätten wie ihre Kameraden in anderen Staaten; im Gegenteil, man denkt ja immer anders als man handelt. (Krieg und Frieden das sind zwei ganz verschiedene Zustände, was noch nicht deutlich genug verstanden wird!)
    Diese Tatsache, so überaus wichtig sie auch für den Zustand der heutigen Weltzivilisation ist, wird gewöhnlich so verstanden, als ob das Denken eine schöne bürgerliche Privatgepflogenheit wäre, unbeschadet deren man sich beim Handeln eben dem anschließt, was üblich ist und alle tun. Das stimmt aber nicht ganz, denn es gibt Menschen, die in ihrem Denken ganz und gar unoriginell sind, dagegen, wenn sie handeln, oft eine ganz persönliche Art haben, die, weit liebenswürdiger, über ihren Gedanken liegt oder weit gemeiner unter diesen, jedenfalls aber eigenartiger ist. Man kommt näher an die Wahrheit heran, wenn man nicht bei dem Gegensatz des Handelns gegen die Gedanken Halt macht, sondern erkennt, daß man es dabei von vornherein schon mit zwei verschiedenen Arten von Gedanken zu tun habe. Der Gedanke eines Menschen hört schon auf, nur Gedanke zu sein, wenn ein zweiter Mensch etwas ähnliches denkt und zwischen diesen beiden etwas besteht, mag es selbst nur ein Wissen voneinander sein, das sie zu einem Paar macht. (Die Gedanken, die man im Kopf hat, und die Gedanken, die außerhalb seiner deponiert sind.)
    Schon dann ist der Gedanke nicht mehr reine Möglichkeit, sondern erhält einen Zusatz von Nebenrücksichten. Aber das mag ein Sophisma oder eine Konstruktion sein. Trotzdem ist es Tatsache, daß jeder kräftige Gedanke in die Wirklichkeit hinaustritt, sie durchdringt wie eine Kraft eine plastische Materie und schließlich in ihr erstarrt, ohne seine Wirksamkeit als Gedanke ganz zu verlieren. Überall, in den Schulen, den Gesetzbüchern, im Antlitz der Häuser in der Stadt und der Felder am Land, in den von den Oberflächenströmungen durchspülten Büros der Zeitungen, in Herrenhosen und Frauenhüten, in allem, wo der Mensch Einfluß ausübt und empfängt, sind Gedanken eingekapselt oder aufgelöst in verschiedenen Graden der Erstarrung und des Gehalts. (Das ginge nur in Verbindung mit ungewöhnlichen Eindrücken, die die Stadt vermittelt.)
    Das ist natürlich nicht mehr als eine Binsenwahrheit, aber das Ausmaß davon ist uns nicht immer gegenwärtig, denn es beträgt wirklich nicht weniger als eine ungeheure hinausgestülpte dritte Gehirnhälfte. Sie denkt nicht; sie sendet Gefühle, Gewohnheiten, Erlebnisse, Grenzen und Richtungen, lauter unbewußte und halbbewußte Einflüsse, zwischen denen das persönliche Denken so viel und so wenig ist wie ein Kerzenflämmchen im steinernen Dunkel eines Riesendepots. Und nicht zuletzt sind darunter die Reservegedanken, die so aufbewahrt werden, wie die Uniformen für die Kriegszeit. In

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