Gesammelte Werke
junge Frau, welche den Rausch des Geschlechts nicht kennengelernt hatte, solange sie gesund war, empfing ihn wie eine Marter, die in ihrem Körper mit solcher Gewalt tobte, daß er nicht einen Augenblick stillhalten konnte und von fürchterlichstem Nervenhunger umhergetrieben wurde, während ihr Geist beglückt an dieser Gewalt feststellte, daß die grenzenlose Macht aller Geschlechtsbegierde, von der sie die Welt erlösen mußte, in sie gefahren sei. Die Süße dieser Qual, die ruhelose Ohnmacht, ein Bedürfnis, sich diesem Mann in den Weg zu werfen und vor Dankbarkeit zu weinen, das Glück, dem sie sich nicht verwehren konnte, war ihr ein Beweis, mit welchem ungeheuren Dämon sie den Kampf aufzunehmen hatte. Diese Geisteskranke, welche noch nicht geliebt hatte, tat es jetzt mit allem, was in ihr noch verschont geblieben war, wie eine gesunde Frau, nur verzweifelt stark, als wollte sich dieses Gefühl mit der äußersten ihm möglichen Kraft von den Schatten losringen, die es umgaben und unwiderstehlich umdeuteten.
Wie alle Frauen wartete sie, daß der wiederkäme, der sie zurückgestoßen hatte. Vierundzwanzig Stunden vergingen, da – ungefähr zur gleichen Stunde wie gestern – klopfte wirklich der Grieche an Clarissens Tür. Eine ihm unerklärliche Kraft führte den willensschwachen und weiblich empfindenden Mann in die Situation zurück, in welcher der brutale Angriff gegen ihn abgebrochen war, ohne ein Ende gefunden zu haben. Er kam, wohlüberlegte Reden vorschützend und unantastbar schön gekleidet und frisiert, und vor sich selbst gestärkt durch die Überlegung, daß man diese interessante Frau auskosten müsse, aber seine Augäpfel zitterten, als er Clarisse ansah, wie die Brüste eines Mädchens, die zum erstenmal berührt werden. Clarisse machte nicht viel Federlesens. Sie wiederholte ihm, er dürfe nicht ausweichen, auch der Gott habe am Ölberg Angst gelitten, und griff ihn an. Seine Knie zitterten und seine Hände legten sich kraftlos wie Tücher vor ihre, um sie abzuwehren. Aber Clarisse umschlang ihn mit Armen und Beinen und verschloß seinen Mund mit dem heißen Phosphathauch des ihren. In seiner höchsten Angst verteidigte sich der Grieche mit dem Geständnis, daß er homosexuell sei. Der Unglückliche wußte sich nicht zu helfen, als sie ihm darauf erklärte, daß er sie gerade deshalb lieben müsse.
Er war einer jener halb kranken, halb mondänen Menschen, die durch die Sanatorien wandern, welche für sie Hotels sind, in denen man interessantere Bekanntschaften macht als in den gewöhnlichen. Er sprach mehrere Sprachen und hatte die Bücher gelesen, von denen die Rede war. Eine südosteuropäische Eleganz, schwarzer Scheitel und trägdunkles Auge trugen ihm die Bewunderung aller Frauen ein, welche am Mann Geist und Dämonie lieben. Seine Lebensgeschichte war wie eine Lotterie von Nummern der Hotelzimmer, in die er eingeladen worden war. Er hatte nie in seinem Leben gearbeitet, wurde von seiner reichen Kaufmannsfamilie ausgestattet, und war einverstanden mit dem Gedanken, daß sein jüngerer Bruder nach dem Tode des Vaters die Leitung der Geschäfte übernehme. Er liebte die Frauen nicht, wurde aber aus Eitelkeit ihre Beute und besaß nicht genug Entschiedenheit, um seiner Neigung für Männer anders als gelegentlich in den Kreisen der großstädtischen Prostitution zu folgen, wo sie ihn ekelte. Er war eigentlich ein großer dicker Knabe, in dem die Neigung dieses unbestimmten Alters zu allen Lastern niemals Späterem Platz gemacht und sich bloß in den Schutz einer melancholischen Trägheit und Unentschlossenheit eingebettet hatte.
Diesem unseligen Mann war noch nie widerfahren, daß eine Frau ihn so anpackte wie Clarisse. Ohne daß er es an irgendeiner Bestimmtheit fassen konnte, wandte sie sich an seine Eitelkeit. «Großer Hermaphrodit» sagte sie immer wieder, und aus ihren Augen leuchtete etwas, das wie Großer Kaiser war, spielhaft für ihn und doch Rausch. «Merkwürdige Frau» sagte der Grieche. «Du bist der große Hermaphrodit,» sagte sie «der weder die Frauen zu lieben vermag, noch die Männer! Und deshalb bist gerade Du berufen, sie von der Erbsünde, die sie schwächt, zu erlösen!»
Von den drei Männern Walter, Meingast und Ulrich, welche Clarissens Leben beeinflußten, hatte Meingast, ohne daß es ihr selbst je klar geworden war, den stärksten Eindruck auf sie geübt, indem er ihren Ehrgeiz – wenn man das Verlangen des unschöpferisch in ein Durchschnittsleben
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