Gesammelte Werke
ein »schlichtes« (was heißt übrigens exakt »schlicht«?), sondern bereits ein sehr komplexes ist; daß es a- und a-Bestandteile notwendig verflochten enthält, wie ja allgemein in den Tatsachen unseres Bewußtseins a- und a-Bestandteile notwendig verflochten und nur abstraktiv zu trennen sind, da doch die
jedem
gegenwärtigen Inhalt anhaftende Gestaltqualität ihn in Beziehung setzt zu früheren Inhalten. Daran denkt Husserl wohl auch, wenn er die »hyletischen« Daten dem Problemtitel der Intentionalität unterordnet; aber seine atomistische Psychologie hindert ihn daran, das Verhältnis klar zu überblicken, und darum mißt er den abstraktiv gewonnenen a-Bestandteilen fälschlich symbolische Funktion zu. Wir halten fest: in dem gegenwärtigen Erlebnis ist das Wissen von früheren Inhalten mit gegeben. Frühere Erlebnisse werden erinnert und Ähnlichkeiten mit den früheren Erlebnissen erkannt, erkannt als Glieder eines sukzessiven Komplexes, und im Sinne dieses Wiedererkennens wird das Eintreten weiterer Erlebnisse erwartet; der Erwartungszusammenhang wird sprachlich bezeichnet, der Ausdruck in identischer Bedeutung festgehalten und behauptet, daß wo immer eine Erscheinung unter den Begriff jenes Erwartungszusammenhanges falle, das Eintreten des erwarteten Erlebnisses gesetzmäßig folgen müsse. All dies gehört
notwendig
zur Wahrnehmung »dieses Baumes«, nicht, wie Husserl meint, als »bloße psychologische Konstitution« des Gegenstandes, sondern als sein vernünftiger Ausweis; d.h. die Rede von »diesem Baum« ist
sinnlos,
wenn sie nicht in dem skizzierten Zusammenhang ihr Fundament hat, und sie hat kein Fundament, es sei denn diesen Zusammenhang. Was nun Husserl das »Noema« des Wahrnehmungserlebnisses nennt, ist nichts anderes als das Individualgesetz, das unseren Erwartungszusammenhang befaßt. »Objekt« unseres Wahrnehmungserlebnisses ist dieser Erwartungszusammenhang nur insoweit, als er uns in unserem gegenwärtigen Erlebnis symbolisch gegeben ist, nicht aber als eine Transzendenz, auf die unser gegenwärtiges Erlebnis als auf ein von Bewußtsein Unabhängiges gerichtet wäre, oder gar als eine Transzendenz, die uns unmittelbar, phänomenal, »leibhaft« zuteil wird. So aber will Husserl das Noema verstanden haben. Das Verhältnis von unmittelbarer und mittelbarer Gegebenheit verkehrt sich ihm im Falle des »Noema« direkt zum Verhältnis von immanentem und transzendentem Sein. Die Unabhängigkeit des Dinges – des Gesetzes – von seiner Erscheinung wird ihm zur Unabhängigkeit des Dinges von seiner bewußtseinsmäßigen Konstitution, welch letztere er der empirischen Psychologie als Gegenstand überlassen möchte, ohne zu erkennen, daß wir im Falle der Reduktion auf den Bewußtseinszusammenhang auf eben diesen Zusammenhang und seine Gesetze als Rechtsquellen der Erkenntnis verwiesen sind. Wenn Husserl verlangt, man solle das »noematische Korrelat« genau so nehmen, »wie es im Erlebnis der Wahrnehmung ... ›immanent‹ liegt« 172 , so scheint er unserer Auffassung recht nahe zu stehen. Doch treten an den Sachen die Gegensätze bald schroff hervor.
Die Scheidung zwischen unreduziertem und reduziertem Ding nämlich, zwischen »Baum schlechthin« und »Baumwahrgenommenem als solchem«, hat ihren Grund letztlich in der Supposition der dinglichen Transzendenz, und der Begriff des Noema enthüllt sich als unzulänglicher Versuch, zwischen einem kraß naturalistischen Ding-an-sich-Begriff und dem Bewußtsein eine Brücke zu schlagen. Auch hier wieder ist an Husserls Beispielanalyse Einsicht zu gewinnen in die Problematik seiner Lehrmeinung. Husserl sagt: »Der Baum schlechthin kann abbrennen, sich in seine chemischen Elemente auflösen usw. Der Sinn aber – Sinn
dieser
Wahrnehmung, ein notwendig zu ihrem Wesen Gehöriges – kann nicht abbrennen, er hat keine chemischen Elemente, keine Kräfte, keine realen Eigenschaften.« 173 Darauf ist zunächst zu fragen: Was ist der »Baum schlechthin«? Etwa die »unbekannte Ursache seiner Erscheinungen«? Dann dürfte in Wissenschaften füglich nicht wohl von ihm die Rede sein. – Oder etwa der Baum, von dem man in der »natürlichen Einstellung« spricht? Von ihm mag es immer heißen, er »könne abbrennen«. Aber wenn diese Möglichkeit als
wissenschaftliche
verstanden wird, wenn sie die Form gewinnt: »es ist
wahr,
daß dieser Baum abbrennen kann«, dann geht der »Baum schlechthin« ohne weiteres in das »Baumwahrgenommene als solches« über; denn
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