Gesammelte Werke
transzendentes Ding, von dem es überhaupt Bewußtsein sein könnte. Bei radikalem Vollzug der epoxh fällt das naturalistische Ding ganz fort, der »intentionale Gegenstand« ist allein im Bewußtsein ausgewiesen, und nur soweit er im Bewußtsein ausgewiesen ist, zu Recht erkannt. Den Terminus »Realität« wird man allein unseren Erlebnissen vorbehalten. Dingliches Sein ist dann nicht eine dem Bewußtsein transzendente »zweite« Realität, sondern dem Bewußtsein als jeweiliges Individualgesetz für Phänomene immanent. Insofern Dinge nie Erlebnisse sind, werden wir sie nicht als »reale«, sondern als »ideale« Gegenstände zu bezeichnen haben.
Andererseits ist gegen Husserl der Vorwurf zu machen, daß er zwei Realitäten einander gegenüberstellt, Realitäten in
seinem
Sinne: nämlich die Dinge schlechthin und die Noemata. Allerdings ist sein Begriff des Noema weiter als unser Begriff des immanenten Dinges an sich; er enthält, wie das Beispiel des erinnerten Erlebnisses zeigt, auch mittelbar gegebene
reale
Inhalte (real in unserer kritisch geklärten Bedeutung genommen) in sich. Allein was nach der Disjunktion von mittelbar gegebenen realen und idealen Gegenständen nach seiten der idealen und zwar näher der dinglichen verbleibt, setzt Husserl den »Dingen schlechthin« entgegen: das »Baumwahrgenommene als solches« (das nach unserer Analyse, o. S. 46ff., als dingliches Sein zu gelten hat) dem »Baum schlechthin«. Dies Verhältnis wünscht nun zwar Husserl nicht so verstanden, als ob das »Baumwahrgenommene als solches« Bewußtsein
von
dem »Baum schlechthin« wäre; vielmehr ist ihm die Noesis »Baumwahrnehmung« Bewußtsein von dem Noema »Baumwahrgenommenes als solches«. Aber es bleibt doch völlig dunkel, woher wir, wenn wir in reiner Immanenz verbleiben, überhaupt zu dem Begriff des »Dinges schlechthin« kommen. Der Unterschied von »Baumwahrgenommenem als solchem« und »Baum schlechthin« soll sein der zwischen unreduziertem und reduziertem Ding. Die Frage, was uns berechtigt, diese Unterscheidung zu machen, lenkt die kritische Betrachtung auf den Begriff der phänomenologischen epoxh.
Die epoxh hat
»den Charakter einer umwertenden Vorzeichenänderung, und mit dieser ordnet sich das
Umgewertete wieder der phänomenologischen Sphäre ein.
Bildlich gesprochen: Das Eingeklammerte ist nicht von der phänomenologischen Tafel weggewischt, sondern eben nur eingeklammert und dadurch mit einem Index versehen. Mit diesem aber ist es im Hauptthema der Forschung.« 180 Was heißt das? Offenbar doch: Erkenntnistheorie hat den vernunftmäßigen Rechtsanspruch des natürlichen Weltbildes zu prüfen. Um diese Prüfung zu vollziehen, muß Erkenntnistheorie alle auf das natürliche Weltbild gerichteten Aussagen ausschalten und rekurrieren auf die unmittelbaren Gegebenheiten. Im Rahmen der unmittelbaren Gegebenheiten aber findet sie das ganze natürliche Weltbild wieder vor – nur mit der Einschränkung, daß wir nichts über seine »Wirklichkeit« (in einem von Husserl keineswegs näher bestimmten Sinne) wissen. Phänomenologie also hat die natürliche Welt so zu deskribieren, wie sie auf Grund einer Analyse des Bewußtseinszusammenhanges sich darbietet: d.h. ohne Ansehung ihrer »Wirklichkeit«. Über die Frage der »Wirklichkeit« soll dann die »rechtsprechende Vernunft« entscheiden.
Diese Argumentation hat mehrere schwache Punkte. Zunächst ist es ja gar nicht ausgemacht, daß wir nach Ausschaltung des natürlichen Weltbildes alle Strukturen dieses natürlichen Weltbildes im Zusammenhang unseres Bewußtseins wieder vorfinden. Wir können ja auch etwas ganz anderes übrig behalten: der kritisch geklärte Ding-an-sich-Begriff etwa, auf den wir bei der Diskussion der Husserlschen Wahrnehmungsanalyse zu sprechen kamen, hat mit dem naiven Dingbegriff so gut wie nichts zu tun. Gesetzt aber selbst, es verhielte sich so, wie Husserl meint: dann ließe sich doch die Deskription des Vorgefundenen gar nicht von der Frage nach seinem »Wirklichsein«, oder vielmehr, wie wir sagen müssen, nach seinem zweifelsfreien Begründetsein in den unmittelbaren Vorfindlichkeiten, abtrennen. Sonst geraten wir in den Zirkel, daß wir, um den Rechtsanspruch des natürlichen Weltbildes zu prüfen, auf die bloße Deskription dieses Weltbildes verwiesen wären. Oder wir müßten deskribieren, ohne das Deskribierte prüfen zu wollen. Daran jedoch könnte uns wenig gelegen sein; uns beschäftigt nicht die Frage, wie das natürliche
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