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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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als ein Teil des gesellschaftlichen Prozesses, von dem er abhängt und beeinflußt wird, wie er selbst ihn zugleich mitbestimmt. All dies steht der neuen wissenschaftlichen Methode vor Augen, auf die ich hinwies. Sie hat sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte als ein Zweig der empirischen Sozialforschung herausgebildet, dem man den nicht ganz glücklichen Namen ›Meinungsforschung‹ gab.
    In gewisser Weise gab der Wahlvorgang das Modell für derartige Untersuchungen, die deshalb in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Geburtsland der Meinungsforschung, noch heute mit polls – Wahlen bezeichnet werden. Im Unterschied zur Wahl aber ist es bei derartigen Erhebungen wegen der Höhe der mit ihrer Durchführung verbundenen Kosten unmöglich, jeden einzelnen über das zu erforschende Problem zu befragen. Man muß sich darauf beschränken, die Befragung an ›Stichproben‹ durchzuführen. Nach zahllosen Versuchen, bei denen die Größe der Stichproben zwischen 1000 und 14 Millionen Befragten schwankte, fand man heraus, daß ein Querschnitt von nur 2000 bis 5000 Personen genügt, um für die Gesamtbevölkerung repräsentative Ergebnisse zu erhalten. Voraussetzung dafür ist, daß die Befragten so ausgesucht sind, daß sie ein zwar verkleinertes, aber statistisch genaues Abbild der soziologischen Struktur der Gesamtbevölkerung darstellen.
    Ursprünglich ließ man Fragebogen ausfüllen. Das wurde aber durch die Vergrößerung der Zahl der Fragen und die Verfeinerung ihrer Formulierungen immer problematischer. Man bildete deshalb die Angestellten der Meinungsforschungs-Institute zu Interviewern aus, die beauftragt wurden, die Fragen mündlich zu stellen und die Antworten in Interviewformulare einzutragen, die aus den ursprünglichen Fragebogen entwickelt worden waren. Dieses Interviewverfahren ist heute noch die gebräuchlichste Methode der Meinungsforschung.
    Wenn eine derartige Umfrage unter Beachtung von allen möglichen Vorsichtsmaßregeln, auf die einzugehen hier die Zeit fehlt, durchgeführt wird, dann darf man erwarten, daß die Ergebnisse der Befragung eines erstaunlich geringen Prozentsatzes der Gesamtbevölkerung für deren Meinung repräsentativ sind. Die Fehlerspanne, mit der man rechnen muß, schwankt je nach der Größe des ›Querschnitts‹ zwischen ± 2 und 5 %.
    Daß der Anwendung der Marktforschungstechniken für die Durchleuchtung der öffentlichen Meinung Grenzen gesetzt sind, wurde schon relativ früh von Soziologen erkannt. Die Kritik setzte im Wesentlichen an zwei Punkten an: es wurde eingewandt, daß die Unterstellung, der einzelne habe ›seine‹ eindeutige Meinung und diese sei ohne größere Schwierigkeiten meßbar, unrichtig sei, und daß man nicht erwarten dürfe, in allen Fällen ein zutreffendes Bild von der ›öffentlichen Meinung‹ zu gewinnen, wenn man einfach das addiere, was sich als Einzelmeinungen feststellen ließ. Es sei nur daran erinnert, daß oft die Entwicklung auch in der politischen Demokratie nicht von der Majorität, sondern von den mächtigsten Gruppen abhängt: bekanntlich hat Hitler vor der Machtübernahme niemals die absolute Majorität erhalten. Darüber hinaus wurde betont, daß ein wesentlicher Unterschied bestehe zwischen den Kaufwünschen des Publikums und seiner Einstellung zu komplexeren, mit tiefer gelagerten Motivationen zusammenhängenden Problemen, die oft genug, und gerade im politischen Leben, stark affektbesetzt seien. Wenn man diese vielschichtigen und verwickelten Tatbestände erforschen wolle, dann müsse auch das dabei angewandte Verfahren ihnen adäquat und wesentlich differenzierter sein als die ursprünglich von der Marktforschung übernommenen einfachen Fragetechniken. Zur Ergänzung der üblichen Interviewmethoden wandte man daher tiefenpsychologische Interviews, projektive Tests, eingehende Einzelanalysen und andere Verfahren an, mit denen es gelang, auch solche Phänomene der öffentlichen Meinung zu deuten, die der Erforschung bis dahin nicht zugänglich waren.
    Auf Erfahrungen, die in den Vereinigten Staaten bei der Durchführung derartiger Untersuchungen gewonnen wurden, aufbauend, wurde in dem 1950 an der Frankfurter Universität wieder gegründeten Institut für Sozialforschung die Methode des »Gruppendiskussionsverfahrens« in den Vordergrund gestellt und weiter entwickelt. Sie vermeidet die in gewisser Weise unnatürliche Interview-Situation, in welcher der Befragte bisweilen das Gefühl hat, dem Interviewer wie in einem Verhör

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