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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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selbst an diesen Bestrebungen noch lange und fruchtbare Jahre teilnehmen könne.
     
    Geschrieben 1951; ungedruckt
     
     
Öffentliche Meinung und Meinungsforschung
    Der Begriff der öffentlichen Meinung ist vieldeutig, und diese Vieldeutigkeit liegt nicht daran, daß man sich nicht genügend um eine Definition bemüht hätte, sondern an der Sache. Meinung, das ist zunächst nichts anderes, als die mehr oder minder artikulierten Gedanken einzelner Menschen. Diese Meinung pflegen sie entweder für sich zu behalten oder anderen gegenüber auszusprechen; öffentlich ist sie nicht. Es liegt nun am nächsten, als öffentliche Meinung einfach die Meinung
aller
zu verstehen. Aber dabei stößt man auf Schwierigkeiten. Einmal scheint es unmöglich, sich der Meinung aller zu versichern, dann aber schwingt die Erinnerung daran mit, daß die Philosophen einst gelehrt haben, daß der Geist einer Epoche – und mit ihm hat ja nun jedenfalls der Begriff der öffentlichen Meinung sehr viel zu tun – sich nicht in der Meinung aller Individuen erschöpfe, sondern daß er eine Art von Selbständigkeit besitze. Danach wäre öffentliche Meinung der Inbegriff des in einem bestimmten Augenblick zu einer bestimmten Frage sich auskristallisierenden, vorherrschenden, für die geschichtliche Tendenz charakteristischen Zustands des Bewußtseins. Primitiv gesagt also, was ›in der Luft liegt‹; und wir alle wissen, daß es so etwas tatsächlich gibt, obwohl der Ausdruck selber uns daran mahnt, wie schwer es ist, dieses in der Luft Liegende dingfest zu machen. Es handelt sich dabei vorab um die gesellschaftliche Tatsache, daß in der modernen Welt die Ordnungen des Daseins, Wirtschaft, politische und andere Institutionen, Zentren der Information, künstlerische und wissenschaftliche Formen sich, kraft der immer weiter fortschreitenden Arbeitsteilung, verselbständigt haben und gerade in dieser Verselbständigung zusammen das ausmachen, was das Wort Kultur benennen will. Das deckt sich aber keineswegs mit den Bewußtseinsinhalten aller einzelnen Menschen, von denen zahllose aufgrund ihres gesellschaftlichen Schicksals von der Teilhabe an eben jenem objektiven Geist zu weitem Maße ausgeschlossen sind. Daher hat man denn damit zu rechnen, daß die öffentliche Meinung im Sinne jenes Bewußtseinszustandes, der die Öffentlichkeit als ein Objektives, also die über das je einzelne und in sich verschlossene Individuum hinausgehende Gesellschaft bezeichnet, tatsächlich mit der Summe der subjektiven Bewußtseinsinhalte der einzelnen nicht identisch ist.
    Sie können daran bereits erkennen, daß die Schwierigkeit, den Begriff der öffentlichen Meinung richtig zu bestimmen, mit höchst realen gesellschaftlichen Problemen zusammenhängt. Denn wenn wirklich die öffentliche Meinung eine Tendenz hat, sich von der Meinung aller einzelnen zu unterscheiden, so entsteht die Frage, wie weit sie überhaupt das Recht besitzt, sich öffentliche Meinung zu nennen. Drückt in jenem sogenannten objektiven Geist sich wirklich so etwas wie das fortschreitende Bewußtsein der Totalität aus, oder lediglich das privilegierter Gruppen und Schichten? Stimmen die in solcher öffentlichen Meinung sich anmeldenden Interessen mit denen derer überein, die sei's nicht die Möglichkeit haben, eine selbständige Meinung sich zu bilden, sei's zumindest nicht in der Lage sind, diese Meinung zu einer ›öffentlichen‹ zu machen? Und wie sollen wir schließlich dieses vorgeblich Objektive so bestimmen, daß wir vor dem ungerechtfertigten Anspruch geschützt sind, daß partikulare Interessen sich aufspielen, als wären sie die des Ganzen?
    Die bequemste Antwort auf die letzte Frage ist es natürlich, sich an das zu halten, was an öffentlicher Meinung greifbar vorliegt, an Meinungen also, die in der Öffentlichkeit erscheinen, indem sie durch Druck, Bild, Radio verbreitet werden. In der Tat haben diese Meinungen stets eine gewisse Neigung, sich selbst mit der öffentlichen Meinung gleichzusetzen. Man stößt nicht selten etwa darauf, daß die Gesamtheit der Pressestimmen zu einer politischen Frage als die öffentliche Meinung gilt, die zu dem betreffenden Gegenstand herrscht. Da nun wirklich die Medien der öffentlichen Kommunikation, schon mit Rücksicht auf die Verkäuflichkeit dessen, was sie den Menschen bieten, sich in einer gewissen Fühlung zu halten pflegen mit dem, was so ›in der Luft liegt‹, und da zudem die öffentlich verbreiteten Meinungen fraglos in großem

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