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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Bereich der Massenmedien scheint, vorsichtig gesprochen, etwas wie prästabilierte Harmonie zwischen Angebot und Nachfrage zu herrschen. Mit den verfügbaren Ermittlungsmethoden ist es einstweilen ungemein schwierig festzustellen, was Ursache und Folge sei: in welchem Maß die Massenmedien, wie es vor allem in Amerika ihre Ideologie ist, dem Bewußtseinsstand, uneingestandenermaßen auch dem Unbewußtheitsstand ihrer Konsumenten sich anpassen oder ob diese sich bereits den Massenmedien angepaßt haben und, fixiert ans Immergleiche, es verlangen. Ob die Bevölkerungen heute wollen können, hat indessen einen über die Massenmedien weit hinausreichenden Aspekt. Manches spricht dafür, daß die Fähigkeit der Menschen, überhaupt noch etwas anderes zu wollen, als was sie in jedem Sinn haben können, schrumpft. Je dichter das Netz der Vergesellschaftung geflochten und womöglich ihnen über den Kopf geworfen ist, desto weniger vermögen ihre Wünsche, Intentionen, Urteile ihm zu entschlüpfen. Gefahr ist, daß das Publikum, wenn man es animiert, seinen Willen kundzutun, womöglich noch mehr das will, was ihm ohnehin aufgezwungen wird. Damit das sich ändere, müßte erst die stillschweigende Identifikation mit dem übermächtigen Verfügbaren unterbrochen, müßte das schwache Ich gekräftigt werden, das es soviel bequemer hat, wenn es sich unterwirft, und man wird vergebens nach denen suchen, die unter den gegebenen Verhältnissen das möchten und die Macht dazu hätten. Selbst der Erfolg ihrer Versuche bliebe zweifelhaft. Tendenziell wird jede Abweichung durch Unbehagen des Abweichenden, ein Gefühl sozialer Isolierung bestraft. Jene Schwäche des Ichs, die es am Wollen verhindert, ist keine bloß psychologische Tatsache, liegt nicht einfach in den Individuen und ist nicht in ihnen zu korrigieren. Sie wird von der gesellschaftlichen Gesamtverfassung hervorgebracht und vervielfacht. Zwar wurde der Begriff der Ichschwäche von der analytischen Psychologie eingeführt, das Phänomen erstmals von ihr beschrieben, aber es hält schwer, Ichschwäche als ein neurotisches Phänomen zu betrachten und zu behandeln, solange die Menschen tatsächlich so ohnmächtig sind, so wenig über das Ganze vermögen, das ihr Schicksal ist, wie es dann in ihrem psychologischen sich spiegelt. Ichschwäche heute ist höchst realitätsgerecht: daher ihre bestürzende Gewalt.
    Der äußere und innere Konsumzwang nötigt zur Frage, ob das Publikum wollen soll. Sie klingt, wie die meiste Wahrheit heute, weder zynisch noch gönnerhaft. Ich meine ein sehr Einfaches und Ernstes. Das bis zum äußersten präparierte Publikum wollte, wenn man seinem Willen sich überließe, verblendet das Schlechte; mehr Schmeichelei für es selber und die eigene Nation, mehr Schwachsinn über Kaiserinnen, die sich als Filmschauspielerinnen verdingen, mehr von jenem Humor, bei dem einen das Weinen überfallen kann. Gäbe es einen Willen des Publikums, und folgte man ihm unmittelbar, so betröge man das Publikum um eben jene Autonomie, die vom Begriff seines eigenen Wollens gemeint wird. Die Willensbildung derer, denen der Wille ausgetrieben ward, stünde im Dienst des fesselnden und unterdrückenden Prinzips. Sie würden, wie jüngst einer jener geistigen Lakaien es nannte, die aus dem als schlecht Durchschauten Ideologie machen und sich darum auch noch für human halten, darauf bestehen, daß man ihnen eine heile Welt serviert, in der das Dunkle und Fragwürdige, das Gesetz der realen, zugeschminkt wird. Über Beckett triumphierte die Christel von der Post. Wenn der politisch und soziologisch überaus dubiose, nämlich keineswegs verwirklichte Begriff einer pluralistischen Gesellschaft irgend etwas taugte, dann in diesem Bereich. Nicht die plebiszitäre Mehrheit dürfte über kulturelle Phänomene, die an die Massen sich richten, entscheiden, und auch nicht die abgefeimte Weisheit von Patriarchen, die tun, als ob sie gütig darüber wachten, was den Massen zuträglich ist. Befinden sollten allein Menschen, die sachlich zuständig sind; die ebensoviel von Kunst verstehen wie von den sozialen Implikationen der Massenmedien. Das wären wohl ohne Ausnahme eben jene Intellektuellen, gegen die das plebiszitäre Urteil in den Massenmedien aufgehetzt würde. Man weiß, welches Unheil der Rousseausche Unterschied von volonté générale und volonté de tous, vom Allgemeinwillen und dem aller einzelnen, angerichtet hat, als terroristische Diktatoren des Allgemeinwillens für

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