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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Unterricht, etwa im staatsbürgerlichen, entgegenzuarbeiten. Anzuknüpfen wäre an das, was man in Amerika sale's resistance nennt, den Widerwillen dagegen, sich übers Ohr hauen zu lassen, den Dummen zu spielen. Eine Schulklasse, der man einmal vorm Apparat vorgeführt hat, was so eine en suite sich produzierende Fernsehfamilie bedeutet, würde wohl weniger anfällig. Vielleicht könnte man auch, in der gleichen Intention, etwas wie Fernsehorganisationen bilden, aber nicht nach dem Modell von Filmfan- oder Jazzfanclubs, die das Angebot wiederkäuen, sondern kritisch: die darauf dringen, daß ihnen keine kalkulierte Idiotie dargeboten wird. In der aktuellen deutschen Situation hätten sie auch darum sich zu kümmern, daß nicht die Möglichkeiten des Abweichenden, die hierzulande einstweilen intakt geblieben sind und bis in die Politik hinein sich bewährt haben, ihnen durch kulturellen Zentralismus beschnitten werden. Solche Organisationen bedürften wohl zunächst kritischer Fachleute, die ihnen die Einsichten übermitteln, welche das lückenlos funktionierende System der Kulturindustrie ihnen vorenthält. Sie müßten aber flexibel genug sein, um nicht einfach zu wiederholen, was ihnen die Avantgarde vorsagt, sondern müßten in lebendigem Kontakt mit ihr aus sich selbst heraus spontane Kräfte entwickeln.
    Auf den ersten Blick scheint der Hoffnung, daß irgend etwas solcher Art gelinge, alles entgegenzustehen. Aber sie hat doch eine sehr reale Chance. Die Millionen Menschen, welche die auf sie zugeschnittene Massenkultur konsumieren, die sie eigentlich erst zu Massen macht, haben kein in sich einheitliches Bewußtsein. Sie ahnen, vorbewußt, unterhalb einer dünnen ideologischen Schicht, daß sie vom Titelblatt jeder illustrierten Zeitung, von jedem zellophanverpackten Schlager betrogen werden. Wahrscheinlich bejahen sie, womit man sie füttert, so krampfhaft nur, weil sie das Bewußtsein davon abwehren müssen, solange sie nichts anderes haben. Dies Bewußtsein wäre zu erwecken und dadurch dieselben menschlichen Kräfte gegen das herrschende Unwesen, die heute noch fehlgeleitet und ans Unwesen gebunden sind.
     
    1963
     
     
    Gleason L. Archer, History of Radio to 1926. New York: The American Historical Society 1938.
     
    Das Werk erzählt mit unentwegter Begeisterung die Geschichte des Radios bis zum »Ende der Pionierperiode des Rundfunks«. Der Ton ist patriotisch und heroisch. Der europäischen Beiträge zur technischen Entwicklung des Radios geschieht kaum Erwähnung; nur Marconi ließ sich nicht vermeiden; aber alles Licht fällt auf die Amerikaner: nicht nur auf Techniker wie Lee de Forest und Fessenden, sondern auch auf Wirtschaftsexponenten wie Owen Young und David Sarnoff. Wenn Radio »das Wunder der Zeiten« ist, dann erscheinen die ökonomischen Kämpfe konkurrierender Personen und Konzerne als erhabene Aktionen, die mit Natur- und Schicksalsmächten zu höherem Ruhm der Menschheit ausgefochten werden müssen, und wer sich durchsetzt, aus dem spricht der Weltgeist. Einer pragmatischen Darstellung jener wirtschaftlichen Gruppenkämpfe, welche die Geschichte des Rundfunks weniger pionier- als conquistadorenhaft erfüllen, ist die erbauliche Betrachtungsweise nicht eben günstig. Unverkennbar jedoch weiß Archer Bescheid. Unter der dünnen Hülle des Panegyrikus zeichnen sich die schreckhaften Konturen der Monstren ab, die sich befehden und womöglich auffressen. In der älteren Periode des Rundfunks hatten die Konkurrenzkämpfe wesentlich den Charakter von Patentstreitigkeiten oftmals der anrüchigsten Art, denen die Heroennamen nicht durchaus enthoben waren. Später geht es schlecht und recht ums Monopol. Besonders aufschlußreich ist da die Geschichte der RCA. Während des Krieges war der gesamte amerikanische Rundfunk unter Staatskontrolle, und als er unter dem Druck von Interessenten reprivatisiert wurde, benutzte man den staatlichen Einfluß und vaterländische Gefühle dazu, die Anteile der mehr oder minder von England abhängigen amerikanischen Marconigesellschaft auszukaufen. Entscheidend spielten militärische Rücksichten herein. So entstand die RCA, und man darf Archer wohl so interpretieren, daß ihre bis heute immer wieder umstrittene Monopolstellung sich unmittelbar der vorhergehenden Staatskontrolle verdankt. – Das ungemein gut informierte und reich dokumentierte Buch ist trotz seines harmlosen Gestus von Interesse noch in anderer Richtung. Es gibt nämlich Anlaß zu Überlegungen,

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