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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Gruppe gehört, daraus nun etwas wie ein Vorrecht der Religion auf die Bekämpfung des Antisemitismus in dem Sinne ableiten, daß man gegen Antisemiten immer wieder und bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Religion redet. Sonst ergibt sich sehr leicht die Gefahr dessen, was man mit einer amerikanischen Prägung ›preaching to the saved‹ nennt, denen predigen, die von vornherein schon gerettet sind. Das Verhältnis der Religion zum Antisemitismus ist das der Verpflichtung, ihm sich entgegenzusetzen, nicht das eines Monopols auf seine Abwehr. Dabei ist vor allem der Bewußtseinsstand der Antisemiten selber zu erwägen. Die Menschen, die man als Kerngruppen des Antisemitismus ansprechen kann, sind schwerlich religiösen Argumenten zugänglich. Ihnen imponiert zwar vielleicht die Macht der Kirchen als Institutionen, sie neigen aber im allgemeinen zu einer Art von naturalistischem Sozialdarwinismus, so wie er auch Hitlers Elaborat »Mein Kampf« durchzieht. Die antisemitischen Gruppen haben sozial sich in einem weiten Maß aus Schichten rekrutiert, die in doppelter Abwehr standen: auf der einen Seite gegen den Sozialismus, auf der anderen Seite gegen das, was ihnen Klerikalismus hieß. Sie verbinden einen gewissen Widerstand gegen konventionalistisch-konservative Mächte mit dem gegen die Arbeiterschaft. In Österreich war das ganz besonders markant: wer dort weder christlich-sozial noch Sozialdemokrat war, tendierte fast automatisch zum Deutschvölkischen und damit zum Antisemitismus. Von dieser Mentalität würde ich annehmen, daß sie auch heute weiterexistiert. Grundstrukturen der politischen Gruppierung haben eine merkwürdige Zählebigkeit, die offenbar selbst über die Weltuntergänge hinwegträgt, die wir schon mitgemacht haben. Daher kommen religiöse Argumentationen leicht in ideologischen Nachteil gegenüber Menschen, die schon von vornherein in einer Sphäre leben, die die religiöse gar nicht an sich herankommen läßt und in ihr nur den fiktiven ultramontanen Herrschaftsanspruch wittert. Auch die religiösen Gruppen – und das erfordert eine gewisse Selbstentäußerung – sollten versuchen, mit dem Antisemitismus auf dessen eigenem Boden zu kämpfen, auf der einen Seite also die Bildung antisemitischer Charaktere zu verhindern helfen, dort aber, wo sie bereits existieren, an das anzuknüpfen, was wir vom Bewußtsein und Unbewußtsein der Antisemiten wissen, und darüber hinaus zu gelangen, nicht aber einfach dagegen ihren Standpunkt behaupten und gar propagieren. Ich berühre damit die Stellung zum Problem der Propaganda insgesamt. Lassen Sie mich dem, ein wenig pointiert, eine These voranstellen: Antisemitismus ist ein
Massenmedium;
in dem Sinn, daß er anknüpft an unbewußte Triebregungen, Konflikte, Neigungen, Tendenzen, die er verstärkt und manipuliert, anstatt sie zum Bewußtsein zu erheben und aufzuklären. Er ist eine durch und durch antiaufklärerische Macht, trotz seines Naturalismus, und hat trotz seines Naturalismus auch von jeher im schroffsten Gegensatz zu der in Deutschland immer wieder beschimpften Aufklärung sich verstanden. Diese Struktur hat er gemeinsam mit dem Aberglauben, mit der Astrologie, die ebenfalls versucht, unbewußte Regungen zu verstärken und auszubeuten, und mit aller Propaganda dazu; sie tut stets dasselbe. Infolgedessen ist das, was man so Propagandamethoden nennt, von vornherein dem Antisemitismus gegenüber im Nachteil. Ich halte gerade diese rationale Fixierung irrationaler Tendenzen, ihre Bestätigung oder Reproduktion durch verschiedene Formen von Massenmedien heute für eine der gefährlichsten ideologischen Kräfte in der gegenwärtigen Gesellschaft. Bei Gelegenheit einer Arbeit gegen die kommerzielle Astrologie der Zeitungsspalten, die ich vor einiger Zeit veröffentlicht habe, hat ein bekannter Psychologe gegen mich polemisiert, ohne mich ausdrücklich zu nennen, und hat mir vorgeworfen, daß ich diese harmlosen Dinge überschätze; daß es doch eigentlich ganz schön wäre, wenn die Astrologie die Menschen dazu brächte, nett zueinander und beim Autofahren ein bißchen vorsichtiger zu sein. Ich will die Astrologie in ihrer Bedeutung nicht überschätzen, aber ich möchte doch ebenso davor warnen, sie zu unterschätzen. Die Tendenz, nicht etwa das schwelend Unbewußte aufzuklären, sondern es zu manipulieren und in den Dienst irgendwelcher Sonderinteressen zu bringen, liegt auch im antisemitischen Vorurteil. Ich könnte Ihnen den Nachweis erbringen,

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