Gesammelte Werke
historischen Interpretation, wenn er die ›Explosionen‹ der jüdischen Mystik in Zwi und vollends Frank ausschließend innertheologisch ableitet und die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die sich einem unabweislich aufdrängen, aufs heftigste fortweist. Es wird mit ungeheurer Kunst ein Rettungsboot losgelassen; aber die Kunst besteht hauptsächlich darin, es mit Wasser zu füllen und zum Kentern zu bringen. Ich für meinen Teil halte mit Ihnen dafür, daß bei einem Untergang des ganzen Schiffes mit Mann und Maus die Chancen besser sind, daß wenn schon nicht von der Mannschaft, so von der Fracht einiges übrig bleiben wird. Trotzdem bin ich, und Felicitas« (Gretel, meine Frau) »nicht minder, sehr fasziniert, und es besteht sogar ein wirklicher Kontakt, der zuweilen die Form einer gewissen Zutraulichkeit annimmt, vergleichbar der, die sich auf einer Kaffeevisite eines Ichthyosaurus bei einem Brontosaurus einstellen mag oder, um mehr zur Sache zu sprechen, bei einer, die der Leviathan dem Behemoth abstattet. Mit einem Wort, man ist unter sich. Es wäre noch hinzuzufügen, daß Scholem offenbar affektiv in einem unvorstellbaren Maße an Sie gebunden ist und zunächst einmal alles, was in der Gegend nur auftaucht, ob es nun Bloch, Brecht oder wie immer sonst heißt, unter die Feinde rechnet. Ich glaube, daß er, was mich anlangt, besänftigt ist .... Max hat sehr positiv reagiert, und ich möchte annehmen, daß die Begegnung, die übrigens in einer New Yorker Bar stattfand, auch insofern ihren guten Sinn hatte, als Max einen neuen Blick auf gewisse Dinge bei Ihnen gewann, die vor seiner Zeit liegen. Dagegen weigert sich Scholem beharrlich, ins Institut zu kommen und hat auch unsere Einladung, dort einen Vortrag zu halten, abgelehnt, was vermutlich damit zusammenhängt, daß er Löwenthal und Fromm noch in ihrer zionistischen Periode kannte.«
Soweit die auf Scholem bezüglichen Sätze des Briefes. Wieviel, durch die Geschichte der Freundschaft zwischen ihm und mir, an dem darin Gesagten sich modifizierte, zumal an meinem eigenen, damals noch sehr rudimentären Verständnis, ist evident. Auffällig jedoch, daß der Brief bereits den Grundriß der späteren Erfahrung an Scholem, wie immer auch in der Form unverbindlicher Impression, aufzeichnet. Er verhält sich zu dem, was dann sich auskristallisierte, vergleichsweise wie die Phase des Mühlespiels, in der die Steine aufgesetzt werden, zu der, in welcher man sie zieht. Da aber von jener ersten Phase so viel abhängt, so wird mir vielleicht der Siebzigjährige das an Irrtum und Vorschnellem verzeihen, was ich damals dem gemeinsamen Freund mitteilte, zu dessen Gedächtnis wir dann zusammen wirkten. Auch das Handicap wird er mir vergeben, an dem nichts sich änderte: meine Unkenntnis nicht nur der Kabbala, der Tradition der jüdischen Mystik, sondern der Hebraistik insgesamt, von der ich nie mehr lernte, als was ich in Scholems Schriften, insbesondere in dem großen Werk über die Hauptströmungen der jüdischen Mystik, las, und, vorher, aus dem Reflex jener Spekulationen bei Benjamin; Spekulationen freilich, die auf den deutschen Idealismus bedeutenden Einfluß ausgeübt hatten und mir darum philosophisch wiederum vertrauter und näher waren, als es bei meinem Mangel an philologischer und historischer Kenntnis zu erwarten gewesen wäre. Trotz meiner Unzuständigkeit gegenüber dem Kern dessen, was Scholem geleistet hat, mag es darum nicht ganz unbillig sein, wenn ich der ersten Impression spätere Reflexionen hinzufüge, die zwar sachlich gewiß nicht legitimierter sind, aber dem geistigen Phänomen Scholem selbst, und auch der Person, näher kommen mögen als das vor bald dreißig Jahren Wahrgenommene.
Er selbst, sonst keineswegs verschlossen, pflegt von seinen wahren Intentionen mit äußerster Zurückhaltung, allenfalls ein wenig geheimnisvoll zu reden; Momente direkter religiöser Mitteilung sind auch in seinen Schriften, nimmt man etwa die Thesen über Messianismus aus, selten. Das trug ihm gelegentlich den Vorwurf ein, er habe in einem Bereich, der seinem Begriff nach die äußersten Ansprüche an die subjektiven Erfahrungen und Spekulationen dessen stellt, der darin sich bewegt, auf die Position des distanzierten Gelehrten sich zurückgezogen. Wer mit dem œuvre Scholems, und gar mit ihm selbst, vertraut ist, weiß die Ungerechtigkeit jener Vorwürfe. Die Versenkung in eine Literatur, die zu der Zeit, da er mit ihr sich zu beschäftigen begann, weithin, auch
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