Gesammelte Werke
innerhalb des Judentums, als apokryph verrufen war, ist nicht anders vorstellbar, als daß ihn die kabbalistischen Texte zentral betrafen. Alles spricht dafür, daß sein eigenes Naturell angelegt war auf die exponiertesten Theologumena hin; der mystische Funke muß in ihm selbst gezündet haben. Daß er nur widerstrebend unmittelbar sich äußert, hat gewiß seinen Grund auch in einer geisteswissenschaftlichen Situation, in der der Existentialismus, zumal dessen jüdische Variante, das subjektive Moment religiöser Erfahrung so sehr betonte. Nachgerade fiel es schwer, Theologie von purer Lebensphilosophie zu unterscheiden. Der objektive Gehalt dessen, woran gerade einem wie Scholem bis ins Innerste Ergriffenen alles liegen mußte, schien gefährdet durch rhetorische Insistenz auf Ergriffenheit. Abneigung gegen das allzu verfügbare existentielle Vokabular, gegen das Gesalbte der Rede von Ich und Du, mochte ein Übriges dazu beitragen, daß Scholem den kabbalistischen Schriften wie Stoffen gegenübertrat, um nicht ihren Wahrheitsgehalt an Kommunikation und kunstgewerbliche Neureligiosität zu verraten. In seiner Reaktionsweise lebt etwas von der brummigen Keuschheit, die zuweilen Musiker an den Tag legen, wenn sie gezwungen werden, von dem zu sprechen, was sie bewegt und was dem Wort widerstrebt. Diese Haltung steigert sich bei Scholem kraft eines Fonds ursprünglicher, sehr gütiger Unfeierlichkeit. Sie mag zusammenhängen mit seinem parti pris für Heterodoxes gegenüber dem Etablierten, auch gegenüber offizieller Religiosität; politische Impulse seiner Jugend sind wohl in dieser Haltung sublimiert. Darüber hinaus aber waltet in ihr objektiver Zwang. Scholems Werk hat einen seiner Schwerpunkte in der Darstellung des Säkularisationsprozesses der Mystik, ihrer Affinität zur Aufklärung. Sein tiefes Wissen, das nie auf die engste Fühlung mit den Sachgehalten verzichten mochte, konnte nicht gegen die Logik solcher Säkularisation sich verblenden. Der mystische Unterstrom der jüdischen Überlieferung, dem seine gesamte Arbeit gilt, ist vermöge der Konzeption der Gottheit als dessen, was Baader esoterischen Prozeß nannte, in sich selbst eminent geschichtlich. Einem Denken, das gespeist wird von Wahlverwandtschaft mit jenem Strom, hätte es am letzten angestanden, sei es um der Idee unvermittelter Transzendenz, sei es um der der Religiosität der je einzelnen Person willen, Geschichte und Wahrheit als indifferent gegeneinander zu setzen. Darin dürften seine Gedanken bis zum Ende, über alle Differenzen sogenannter Standpunkte hinweg, mit denen Benjamins zusammengestimmt haben. Wie dieser so strengt Scholem gegen den Mythos einen Prozeß an, der ihm untrennbar ist vom historischen Prozeß selbst. In jenem Prozeß wird aber nicht der Mythos verworfen, er ist keiner von ›Entmythologisierung‹, sondern eher einer, der den Mythos versöhnt. Dem unterdrückten Unteren widerfährt jene Gerechtigkeit, die verhindert wird von dem Recht, das die Geschichte hindurch waltet, und solche Gerechtigkeit wird auch dem Mythos zuteil. Irre ich nicht gar zu sehr, so ist Scholem deshalb der Historiker der Kabbala – das Wort selbst heißt Überlieferung, impliziert also Geschichte – geworden, weil er ihren Gehalt als geschichtlichen Wesens verstand und glaubte, von ihr nicht anders reden zu dürfen denn geschichtlich. Solche geschichtliche Wahrheit kann nur in der äußersten Ferne von ihrem Ursprung ergriffen werden, eben in vollendeter Säkularisierung. Ähnlichen Sinnes ist eine chassidische Legende, die Scholem an erhobener Stelle anführt: »Wenn der Baal-schem etwas Schwieriges zu erledigen hatte, irgendein geheimes Werk zum Nutzen der Geschöpfe, so ging er an eine bestimmte Stelle im Walde, zündete ein Feuer an und sprach, in mystische Meditationen versunken, Gebete – und alles geschah, wie er es sich vorgenommen hatte. Wenn eine Generation später der Maggid von Meseritz dasselbe zu tun hatte, ging er an jene Stelle im Walde und sagte: ›Das Feuer können wir nicht mehr machen, aber die Gebete können wir sprechen‹ – und alles ging nach seinem Willen. Wieder eine Generation später sollte Rabbi Mosche Leib aus Sassow jene Tat vollbringen. Auch er ging in den Wald und sagte: ›Wir können kein Feuer mehr anzünden, und wir kennen auch die geheimen Meditationen nicht mehr, die das Gebet beleben; aber wir kennen den Ort im Walde, wo all das hingehört, und das muß genügen.‹ – Und es genügte. Als aber
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